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Wohnungsnot in der Schweiz Wie dank Einfamilienhäusern massiv verdichtet werden könnte

Gemeinden und Städte müssen wegen fehlendem Wohnraum auf Verdichtung setzen. Ein Potenzial bleibt dabei oft ungenutzt.

Das Leben im Einfamilienhaus, mit eigenem Garten drumherum. Das ist der Traum vieler, aber nur wenige können ihn leben. Rund zwei Millionen Menschen wohnen in der Schweiz in einem Einfamilienhaus.

Und dennoch sind von den zwei Millionen Wohngebäuden in der Schweiz rund die Hälfte Einfamilienhäuser. In einem Einfamilienhaus (EFH) leben durchschnittlich nur zwei Personen – 6.8 Millionen Menschen teilen sich die Mehrfamilienhäuser.

EFH: Massiv unternutzt

Wer in einem EFH lebt, braucht also enorm viel Platz, denn es kommt noch der Umschwung dazu. Diese Landflächen sind mit den bestehenden Gebäuden oft massiv unternutzt, denn die Bau- und Zonenordnungen haben sich in den vergangenen 20 Jahren stark geändert, hin zu mehr Verdichtung auf Bauland.

Auf Landparzellen mit älteren Einfamilienhäusern besteht ein riesiges Verdichtungspotenzial.
Autor: Christoph Giger Architekt und Firmengründer

Auf Boden, wo heute ein älteres EFH mit zwei Bewohnern steht, wären fast immer Mehrfamilienhäuser für das Vier- oder Vielfache an Personen realisierbar. Das rechnet die Firma Raumpioniere AG im Auftrag von SRF vor.

Sie hat Bauparzellen fast der ganzen Schweiz mit den dort geltenden Bau- und Zonenordnungen von Gemeinden und Kantonen verglichen. «Vor allem auf Landparzellen mit älteren Einfamilienhäusern besteht ein riesiges Verdichtungspotenzial», sagt Architekt und Firmenmitgründer Christoph Giger.

«Einfamilienhäuser, die vor 1980 gebaut worden sind, haben oft noch deutlich mehr Umschwung als solche neueren Datums, weil früher Boden sehr viel günstiger war. Man konnte damals mehr Land für ein Einfamilienhaus kaufen», erklärt Giger.

Platz für 10'000 Personen mehr in Frauenfeld

Was das bedeutet, hat sein Büro für fünf Gemeinden in der Deutschschweiz ausgerechnet. So stehen etwa in Frauenfeld (TG) 1525 Einfamilienhäuser, die vor 1980 gebaut wurden. Würde man diese durch Mehrfamilienhäuser mit maximaler Ausnutzung der Landparzelle ersetzen, hätten dort knapp 10'000 Personen mehr Platz. Und das in Frauenfeld, wo heute 25'000 Personen leben.

So viel benötigter Platz ist keine Utopie. Tatsächlich rechnet Frauenfeld mit einem Wachstum um weitere 8000 Personen bis 2050. Die Stadt liegt damit im Trend, denn laut dem Bundesamt für Statistik wird die Schweiz bis dahin bis elf Millionen Menschen ein Zuhause bieten – rund fünf Millionen mehr als 1980.

Wohnsiedlung mit kleinen Ein- und Mehrfamilienhäusern und grünem Umschwung.
Legende: Eine typische Wohnsiedlung mit kleinen Wohneinheiten und jeweils etwas Umschwung, hier am Beispiel von Niedergösgen (SO) in einer Aufnahme von 2010. KEYSTONE Archiv / Alessandro Della Bella

Wegen der Zuwanderung und des steigenden Wohnraumbedarfs setzt die Schweiz seit Jahren auf verdichtetes Bauen. Das entsprechende Raumplanungsgesetz wurde 2013 vom Volk angenommen – seither sind die Gemeinden verpflichtet, zu verdichten, statt neues Bauland einzuzonen.

Eine Verdichtung der EFH-Parzellen hätte auch in anderen Gemeinden eine enorme Wirkung: Wil (SG) könnte von heute 17'700 auf 22'000 Personen anwachsen, Pratteln (BL) um 2700 auf 17'900 und Köniz (BE) könnte das Wohnangebot für heute 37'900 auf 45'800 Einwohnerinnen und Einwohner steigern.

Investitionen in Infrastruktur

Aber das Überbauen von EFH-Parzellen ist nicht so einfach. Das bestätigt auch die Stadt Frauenfeld auf Anfrage. Zum einen wollen die Eigentümer ihre Häuser nicht einfach verkaufen, selbst wenn die Bodenpreise so hoch sind wie noch nie.

Zum andern müsste in EFH-Quartieren auch enorm in den Ausbau der Infrastruktur investiert werden: Quartierstrassen, Schulhäuser, Energieversorgung und Kanalisation. Frauenfeld, wie viele andere Gemeinden auch, setzt bei der Verdichtung zuerst auf brach liegende Industrieareale – falls vorhanden. Bestehende Einfamilienhäuser überleben noch, aber als Wohnform der Zukunft sind sie wegen des Verdichtungsdrucks für die meisten schlicht zu teuer.

Tagesschau, 18.4.2023, 19:30 Uhr

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