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Wolfsdiskussion «Der Wolf braucht keine Wildnis»

Als Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz setzt sich David Gerke für den Wolf ein. Er ist selbst Schafhalter und Bauer.  Den selektiven Abschuss von Wölfen befürwortet er, nicht aber den Abschuss von ganzen Wolfsrudeln.

David Gerke

Präsident der Gruppe Wolf Schweiz

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David Gerke ist Präsident der Gruppe Wolf Schweiz und setzt sich für die Akzeptanz des Wolfes in der Schweiz ein.

SRF News: Was fasziniert Sie an Wölfen?
David Gerke: Meine Faszination für den Wolf ist einem gewissen Zufall geschuldet. Ich habe mich schon als Kind für Tiere interessiert. Als der Wolf Mitte der 1990er-Jahre in die Schweiz zurückkehrte und einige Jahre später medial ein grosses Thema wurde, war ich etwa 15 Jahre alt.

Die Zeit als Schäfer hat mich sehr stark geprägt. Es waren meine Wanderjahre.
Autor: David Gerke

Schon damals wurde versucht, einzelne Wölfe zu schiessen. Damals begann ich, politischer zu denken. Ich habe mich für alles rund um den Wolf interessiert und fand die Wölfe spannend.

Sie interessieren sich aber nicht nur für Wölfe, sondern auch für Schafe?
Schon bevor ich 20 Jahre alt war, wollte ich mit Schafen arbeiten. Ich bin dann mit Anfang 20 zum ersten Mal als Schafhirte in die Berge gezogen. Insgesamt habe ich das zehn Sommer lang gemacht. Die Zeit als Schäfer hat mich sehr stark geprägt. Es waren meine Wanderjahre. Irgendwann kam der Wunsch auf, selbst Schafe zu besitzen.

David Gerke mit Hunden in einem Zwinger.
Legende: David Gerke mit seinen Hirtenhunden. SRF/Stefan Eiholzer

Für viele Schafhalter ist die Vorstellung, dass ein Wolf ihre Herde angreift und Tiere tötet, die schlimmstmögliche. Für Sie nicht?
Diesen Gedanken gibt es interessanterweise fast nicht. Ich muss dazu sagen, ich liebe meine Schafe über alles. Ich habe mehrfach um Schafe geweint, wenn ich eins auf der Alp verloren habe.  Meine Beziehung zu Schafen ist nicht rational, und es würde mir sehr stark zusetzen, wenn ich Schafe an einen Wolf verlieren würde. Aber bei meiner täglichen Arbeit habe ich diese Sorgen nicht.

Es gab aber einen grossen Bruch in dieser Beziehung. Und zwar in dem Moment, als der Mensch sesshaft wurde und begann, Vieh zu züchten. Damals wurde der Wolf vom Mitjäger zum Feind.
Autor: David Gerke

Wenn die Schafe draussen auf der Weide sind, sind sie eingezäunt und mit einem guten Elektrozaun geschützt. Die Sorgen, die ich mir mache, sind viel alltäglicher: Haben die Schafe genug zu fressen? Sind die Tiere gesund? Ist mit den Klauen alles in Ordnung?

David Gerke: Biologe, Geograf und Jäger

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David Gerke ist Präsident der Gruppe Wolf Schweiz, die sich als Stimme der Grossraubtiere in der Schweiz versteht und sich für das Zusammenleben von Menschen und Raubtieren wie Wolf, Bär und Luchs einsetzt.

Gerke hat Biologie und Geografie studiert und ist ausgebildeter Jäger. Zusammen mit seiner Frau bewirtschaftet er seit zwei Jahren im Emmental einen Bauernhof. Sie halten Schafe, Damhirsche und betreiben eine Fischzucht. Mehrere Sommer verbrachte der 38-jährige Gerke als Schafhirte auf der Alp.

Der Wolf lässt kaum jemanden kalt? Weshalb ist das so?
Die Beziehung zum Wolf ist sehr alt. Der Wolf war mit Abstand das erste Tier, das domestiziert wurde. Wir Menschen halten schon viel länger Hunde, als wir Schafe oder Kühe haben. Es gab aber einen grossen Bruch in dieser Beziehung. Und zwar in dem Moment, als der Mensch sesshaft wurde und begann, Vieh zu züchten. Damals wurde der Wolf vom Mitjäger zum Feind.

Wolf liegend auf dem schneebedeckten Boden.
Legende: Der Wolf gehört laut David Gerke zum Schweizer Alpenraum. Keystone/Archiv/MICHAEL BUHOLZER

Welche Bilder sind falsch, die wir vom Wolf haben?
Es gibt zwei Themen, die konsequent falsch diskutiert werden. Das eine ist die Gefährlichkeit des Wolfes für den Menschen. Der Wolf ist eine riesige Herausforderung für unsere Gesellschaft, weil er die Landwirtschaft sehr stark tangiert. Das Risiko für den Menschen, das vom Wolf ausgeht, ist aber dermassen gering, dass es viel weniger ein Thema sein sollte, als es das ist.

Der Wolf ist Teil der heimischen Biodiversität [...]. Das heisst, Wölfe werden immer wieder Menschen begegnen und mit unseren Interessen in Konflikt geraten.

Der zweite Aspekt ist die Verknüpfung des Wolfes mit der Wildnis. Der Wolf braucht keine Wildnis. Er ist intelligent, anpassungsfähig und überlebt problemlos in Kulturlandschaften. Sie ist für den Wolf möglicherweise sogar viel attraktiver, als es die Wildnis ist.

David Gerke vor einer Schafherde in einem Stall.
Legende: David Gerke hält auch Schafe. Er befürwortet den selektiven Abschuss von Wölfen. SRF/Stefan Eiholzer

Der Bund möchte den Wolf regulieren und hat ganze Rudel zum Abschuss freigegeben. Für Sie ist das der falsche Weg. Weshalb?
Man will eine zahlenmässige Beschränkung des Wolfsbestands aufgrund von landwirtschaftlichen Interessen herbeiführen. Es gibt keine Interessenabwägung. Man lässt ökologische Aspekte nicht einfliessen, indem man beispielsweise schaut, ob in einem Gebiet zu viele Hirsche leben, die Waldschäden verursachen. Man sagt einfach, Wölfe können Schäden verursachen, deshalb beschränken wir den Bestand. Dieser Ansatz ist wirklich falsch.

Die Debatte um den Wolf

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Die Diskussion um den Wolf wird in der Schweiz seit mehreren Jahren emotional geführt. Das revidierte Jagdgesetz – es hätte präventive Abschüsse von Wölfen erlaubt – wurde von der Stimmbevölkerung im September 2020 abgelehnt. Diesen Herbst setzte der Bundesrat die revidierte Jagdverordnung in Kraft. Sie erlaubt den präventiven Abschuss von einzelnen Wölfen, aber auch von ganzen Rudeln. In der Schweiz leben derzeit rund 300 Wölfe. Es gibt 32 Wolfsrudel. Zwölf sind vom Bundesrat zum Abschuss freigegeben worden. Derzeit ist die Wolfsjagd aber aufgrund von Beschwerden blockiert.

Wie müsste man denn Ihrer Meinung nach mit dem Wolf umgehen?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass der Wolf eine einheimische Tierart ist. Er ist Teil der heimischen Biodiversität und als solcher soll er auch hier sein. Wir leben aber in einer Kulturlandschaft. Das heisst, Wölfe werden immer wieder Menschen begegnen und mit unseren Interessen in Konflikt geraten.

Wenn die Schweiz mit ihren paar Wolfsrudeln versucht, dieses Wachstum zu bremsen, ist das nicht möglich. Das ist reine Mathematik.
Autor: David Gerke

Es braucht die Möglichkeiten, diese Konflikte zu beheben. Das geschieht vorab mit dem Herdenschutz, das ist das wichtigste Instrument. Man muss aber auch die Möglichkeit haben, in gewissen Situationen Wölfe selektiv abzuschiessen.

Der Bund hat mit dem Abschuss ganzer Rudel eine radikalere Lösung gewählt.
Die Schweizer Wölfe gehören zur Population des Alpenraumes. Im ganzen Alpenraum gibt es heute geschätzt über 300 Wolfsrudel. Dieser Bestand hat im Moment noch ein hohes Wachstum, weil viele Lebensräume frei sind. Das Wachstum umfasst alpenweit mehrere Dutzend Rudel jedes Jahr.

Wolf von der Seite auf einem liegenden Baumstamm stehend.
Legende: Der Mensch wird immer wieder dem Wolf begegnen. Keystone/Archiv/MICHAEL BUHOLZER

Wenn die Schweiz mit ihren paar Wolfsrudeln versucht, dieses Wachstum zu bremsen, ist das nicht möglich. Das ist reine Mathematik. Wenn man Wölfe wegschiesst, wird die Lücke durch zuwandernde Wölfe innerhalb von sehr kurzer Zeit wieder geschlossen. Das heisst, man ist dann im nächsten Jahr wieder am selben Punkt, an dem man schon war.

Das Gespräch führte Stefan Eiholzer.

Echo der Zeit, 05.01.24, 18:00 Uhr ; 

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