Winston Churchill war ein Mann mit gesundem Appetit, und Liselotte Kaufmann-Sigrist notierte jeden Tag fein säuberlich, was sie ihm auftischte. Am 10. Juni 1951 zum Beispiel: «Smoked Salmon» ist im Notizbuch mit bordeauxrotem Einband unter «Lunch» vermerkt. Darunter sind aufgeführt: gefüllte Ente, Reis, Kartoffeln, Tomaten und zum Dessert «Jam Tarts», Konfitörtchen.
Das mag nicht weltbewegend sein, ein interessantes Zeitdokument ist es allemal. Denn es stammt aus der Feder einer 19-Jährigen aus dem luzernischen Ebikon: Liselotte Kaufmann-Sigrist war ihrer Hauswirtschaftslehrerin nach Grossbritannien gefolgt und arbeitete während eineinhalb Jahren als Hilfsköchin in Chartwell, dem Landsitz von Churchill, der zunächst noch Oppositionsführer war und dann zum zweiten Mal britischer Premierminister wurde.
Als sie heimkehrte, brachte sie unter anderem ein Arbeitszeugnis mit, eine kurze Nachricht von Churchill, Fotos, einen Aschenbecher mit dem Konterfei des Premiers – und die Menübücher.
All dies ist nun öffentlich zugänglich, auf der neuen Plattform «ZentralGut» der Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern ZHB. Und es ist nur ein Beispiel von vielen.
Tausende Grafiken, Drucke, Handschriften, Fotografien und Ansichtskarten aus der Zentralschweiz sind auf der Plattform abrufbar. Ausserdem Filme des Obwaldner Fotografen Carl Abächerli, der in den 1920er-Jahren damit begann, bewegte Bilder einzufangen. Oder die Sendungen des «Kabel-Fernsehens Zug» aus den frühen 1980er-Jahren.
Schätze sollen nicht länger im Archiv verstauben
Mitverantwortlich für die Plattform ist Mirjam Zürcher. Der Schatz an Zeugen der Vergangenheit sei überwältigend in der Zentralschweiz, sagt sie. Und auch, wie viele Menschen hier interessante Spuren hinterlassen hätten. Aber: «Ihre Nachlässe sind alle irgendwo in einem Archiv oder einer Bibliothek gelandet, wo sie für die meisten Leute nicht sichtbar sind.»
Es ist überwältigend, wie viele Menschen hier interessante Spuren hinterlassen haben.
Das will «ZentralGut» ändern. Statt Objekte zu digitalisieren und dann ruhen zu lassen, will die Plattform sie an die Öffentlichkeit bringen. «Das sind Dinge, die es nicht in eine Ausstellung schaffen, weil es für die Vitrine vielleicht schönere Beispiele gibt», sagt Zürcher. «Aber es sind dennoch wertvolle Quellen.»
Ballon-Bahn auf die Rigi, Dromedare in Zug
Darunter finden sich auch Einblicke in die Vergangenheit, die schmunzeln lassen. Etwa eine Grafik von 1859, die die Idee einer Luftballon-Bahn auf die Rigi zeigt – rund ein Jahrzehnt vor dem Bau der Zahnradbahn. Auf einer Fotografie von 1865 sind Dromedare zu sehen, die durch die Zuger Altstadt geführt werden. Und in Giswil war um 1910 offensichtlich ein Auto unterwegs, das von einem Pferd gezogen wurde.
«ZentralGut» soll zum digitalen Gedächtnis der Zentralschweiz werden, und dieses Gedächtnis soll wachsen. Auch mithilfe von Privatpersonen: Wer im Estrich auf alte Dokumente oder Fotos stösst, kann ein Bild davon auf die Plattform hochladen. Das Team von «ZentralGut» sieht es sich an, holt vielleicht zusätzliche Informationen ein und fügt es in die Plattform ein.
Plattform will das Wissen der Menschen nutzen
Gleichzeitig ist die Öffentlichkeit bei sogenannten Crowdsourcing-Kampagnen gefragt. «Wir veröffentlichen Bilder und fragen, ob jemand weiss, wer die Personen darauf sind und was die Aufnahmen zeigen könnten», sagt Mirjam Zürcher. «In den Köpfen der Menschen ist viel abgespeichert. Dieses Wissen möchten wir nutzen.» Und wer weiss: Vielleicht kommen so ja auch noch die Menüs anderer Staatenlenker ans Licht.