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Zu Unrecht an Grenze gebüsst Die Zollverwaltung handelte eigenmächtig

Interne Mails zeigen: Die Praxis, nicht beruflichen Grenzverkehr zu unterbinden, war von Bundesrat Ueli Maurer abgesegnet worden. Doch in der Bundesverwaltung bestanden erhebliche Zweifel an der Verfassungsmässigkeit einer solch weitgehenden Massnahme.

In einem Dokument, das Schweizer Radio SRF unter Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat, schreibt die Zollverwaltung, sie habe entschieden, den Grenzverkehr auf das «strikte Minimum» zu limitieren:

Die Zollverwaltung hat diesen Entscheid auf der Internetseite publiziert und Plakate an offenen Grenzübergängen aufgestellt, um die Bevölkerung zu informieren, dass Reisen in die Nachbarländer für Einkauf, Besuche und Tourismus nicht erlaubt sind.

Im Dokument steht ferner: «Diese Entscheidung wurde vom Chef des Departements unterstützt». Finanzminister Ueli Maurer war also einverstanden. Das Problem dabei: Das Verbot widersprach der Covid-19-Verordnung des Bundesrates. Sie hielt fest, dass allen Menschen mit Schweizer Pass oder Niederlassungstitel der Grenzübertritt erlaubt sei.

Fehlende Rechtsgrundlage

Das Vorgehen der Zollverwaltung sei unverständlich, sagt Markus Schefer, Staatsrechtsprofessor der Universität Basel: «Die eidgenössische Zollverwaltung hat hier eigenmächtig den Beschluss gefasst, den Einkaufstourismus und Besuche im Ausland zu verbieten. Sie hatte dafür keine Rechtsgrundlage. Es ist in unserer Verfassungsordnung unbestritten, dass eine Behörde nur dort handeln darf, wo sie eine Rechtsgrundlage hat.»

Die Zollverwaltung stellt sich bis heute auf den Standpunkt, dass das Vorgehen rechtmässig war. Es führte aber zu Konflikten mit dem Staatssekretariat für Migration (SEM), das für Einreisebewilligungen in die Schweiz zuständig ist, wie vorliegende E-Mails zeigen. Dennoch deckt das SEM die Vorgehensweise gegen aussen.

Zweifel an der Rechtsmässigkeit dürfte die Zollverwaltung aber doch gehegt haben. Sie schlug nämlich bald eine Änderung der Verordnung vor, um Grenzübertritte zu verbieten. Diese zeugte aber von wenig Verständnis für die Grundrechte.

Es handelte sich dabei um komplizierte Einreisebeschränkungen, die zur Folge gehabt hätten, dass sogar Schweizer Bürgerinnen und Bürger beim SEM eine Bewilligung hätten einholen müssen, um nach der Ausreise wieder in ihre Heimat einzureisen.

Bundesamt für Justiz widerspricht

Die Einschätzung des Bundesamtes für Justiz dazu fiel vernichtend aus: Es zweifelte an der Verfassungsmässigkeit des Vorschlags aus der Zollverwaltung: «Die Bundesverfassung garantiert Schweizer Bürgerinnen und Bürgern das Recht, ihr Land zu verlassen und wieder zurückzukehren und der UNO-Menschenrechtspakt sieht vor, dass niemandem willkürlich das Recht auf Rückkehr ins eigene Land verwehrt werden darf.»

Der Vorschlag sei unverhältnismässig und bewirke wenig im Kampf gegen die Pandemie, schrieb das Bundesamt für Justiz ferner, da auch die Nachbarländer ähnliche Massnahmen getroffen hätten wie die Schweiz. Die Bundesjuristen rieten, auf den Vorschlag gänzlich zu verzichten.

Bussen nur für Einkaufstouristen

Das führte am Karfreitag zu einer langen Aussprache zwischen den Direktoren des Bundesamtes für Justiz, dem SEM und der Zollverwaltung. Resultat: Eine ganz andere und stark reduzierte Änderung: Nur wer ausschliesslich zum Einkaufen über die Grenze fuhr, wurde gebüsst. Diese Änderung trat Mitte April in Kraft.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Grenzwächter bereits insgesamt rund 3600 Bussen à hundert Franken verteilt. Wie viele davon zu Unrecht an Schweizer Bürgerinnen und Bürger und Menschen mit Niederlassungsausweis gingen, bleibt ein Geheimnis der Zollverwaltung.

Die Zollverwaltung hat mitten in der Covid-Krise entschieden, die Rechte der Schweizer zu missachten.
Autor: Christian Dandrés Nationalrat (SP/GE)

Der Genfer SP-Nationalrat Christan Dandrès kennt einige dieser Fälle und meint: «Die Zollverwaltung hat mitten in der Covid-Krise entschieden, die Rechte der Schweizerinnen und Schweizer zu missachten. Das ist gravierend.» Er fordert den Bundesrat in einem Vorstoss auf, das behördliche Fehlverhalten aufzuklären und die Bussen zurückzuerstatten.

Es gelte, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu schützen, denn die Krise sei noch nicht vorbei. «Wenn der Bundesrat erwartet, dass die Bevölkerung sich an Regeln hält, muss er garantieren, dass die Verwaltung die Rechte der Bürgerinnen und Bürger respektiert», sagt der Nationalrat. Die Antwort des Finanzdepartements auf seinen Vorstoss bleibt noch aus.

Zollverwaltung mauert

Box aufklappen Box zuklappen

Radio SRF hat gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz Einsicht in den Einsatzbefehl der Zollbeamten an das Grenzpersonal verlangt. Daraus wäre ersichtlich gewesen, welche genauen Anweisungen die Zollbeamten nach der Grenzschliessung erhalten haben und wann sie Bussen verhängen sollten. Die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) verweigerte aber diese Einsicht. SRF beantragte darauf das für solche Fälle vorgesehene Schlichtungsverfahren beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (Edöb). Dieser empfahl der EZV den Einsatzbefehl herauszugeben. Trotzdem weigert sich die Behörde weiterhin, dies zu tun.

Info3 am Mittag, 6.8.2020

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