Da sitzt sie. In Yoga-Pose, die Beine verschränkt und die Handflächen an-einander gelegt. Jasmin Schluep begrüsst ein letztes Mal ihre Yoga-Schülerinnen via Zoom. «Im Yoga geht es auch darum: Alles hat einen Anfang, alles hat ein Ende,» sagt Jasmin Schluep. Ihre Stimme klingt fest, nüchtern. Sie spricht vom ewigen Kreislauf, des Geborenwerdens und des Sterbens. «Heute beschliessen wir diesen Kreislauf in dieser letzten Yoga-Stunde.»
24 Stunden zuvor. Jasmin Schluep räumt auf, packt zusammen, stellt weg. In zwei Tagen geht ihr Lokal zurück an den Vermieter. Ihre Firma liegt im Sterben. Die 43-jährige Mutter zweier Kinder nimmt Abschied von ihrem «dritten Kind». Es habe sich angefühlt, wie ein todkrankes Kind loszulassen. «Ich habe es gehegt, gepflegt. Ich habe zu ihm geschaut.» Und dann habe sie lernen müssen, Abschied zu nehmen. Die Stimme wird brüchig.
Hohe Fixkosten, wenig Einnahmen
Ihr Kleinbetrieb hat das Corona-Jahr nicht überlebt. Sechs Jahre hat Jasmin Schluep über den Dächern von Bern mit Blick auf den Münster-Kirchturm Yoga, Pilates, Geburtsvorbereitun und Rückbildung unterrichtet. Vier Mitarbeiterinnen hatte sie angestellt, alle mit Teilzeitpensen. Dazu kamen Fixkosten wie die Miete von 2600 Franken monatlich, ein Online-Buchungssystem, Zoom-Abogebühren, Telefon und ein Kartenzahlungsgerät. «Rein kommt aber nichts.» Einnahmen und Ausgaben standen nicht mehr im Gleichgewicht. Seit November hätten Yoga-Lehrerinnen und -Lehrer faktisch ein Berufsverbot, sagt sie.
Sie hat gerechnet und gerechnet. Sie hat sich und die Angestellten für die Kurzarbeitsentschädigung angemeldet. Beim Vermieter hat sie um einen Mieterlass gebeten, erfolglos. Sie hat auch Kurse online angeboten. Aber die Kundinnen sind weggeblieben, sie seien online-müde geworden, sagt Schluep. Alles nützte nichts. Die Einnahmen blieben definitiv weg.
Nun stehen die schwarzen Yogamatten aufgerollt an der Wand, bereit für den Abtransport. In einer Ecke steht eine Shiva-Statue, der Gott des Yogas, der Zerstörung und Vergänglichkeit. Er wartet darauf, dass er eingepackt wird.
Vermieter kam ihr nicht entgegen
Kein Spenderherz hatte auch der Vermieter. Er wollte immer die volle Miete sehen. Als Jasmin Schluep sich entschieden hat, das Geschäft aufzulösen, beharrte der Vermieter auf der vollen Kündigungsfrist von sechs Monaten. Erst ein finanzieller «Striptease» – sie musste die Bankkonti dem Vermieter zeigen – überzeugte den Vermieter, dass bei ihr wirklich nichts mehr zu holen war. Sonst hätte sie Konkurs anmelden müssen. So kann sie das Geschäft schliessen, ohne grosse Abwicklungskosten. Dies sei eine Erleichterung, sie komme mit einem blauen Auge davon, sagt Schluep.
«Im Bundeshaus können sie jetzt irgendwelche Massnahmen beschliessen. Mich betrifft es nicht mehr.» Ja, die da drüben im Bundeshaus, die Politik sowieso. In diesem Jahr habe sie diese immer weniger verstanden. Und plötzlich sieht man in Jasmin Schlueps Augen ein Feuer lodern und Gott Shiva darin tanzen. «In der Pandemie hat der Föderalismus nichts verloren.» Der Kantönligeist nerve sie nur noch. Wäre ihr Betrieb in einem anderen Kanton beheimatet gewesen, hätte sie längst Hilfe erhalten. Ihre Stimme wird laut, wütend. «Die Glaubwürdigkeit der Politik geht so verloren.» Irgendwann stehe man auf und finde, «es reicht.»
Pause. Sie entschuldigt sich für die laute Stimme. Manchmal könne sie auch ganz «unyoginisch» sein. Sie lacht wieder. Sie vertraut darauf, nach dem Ableben ihres «dritten Kindes» gehe es irgendwie weiter. Irgendwo im Zügelgepäck tanzt jetzt Gott Shiva, der Gott der Zerstörung und des Neubeginns.