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Zustände im Asylwesen «Wir haben kein stabiles Leben hier»

Die Bewohner des Rückkehrzentrums für Asylbewerber in Biel-Bözingen leiden. Sind die Zustände zumutbar?

Weisse Stahlcontainer, kleine Fenster, Zäune: Das ist das Rückkehrzentrum Biel-Bözingen. SRF zugespielte Bilder zeigen die Zustände. In den Zimmern stehen Stahlbetten, die Duschen wirken schäbig, die Küche scheint schmutzig.

Rückkehrzentrum für Asylbewerber in Biel-Bözingen

Amar Salim lebt im Zentrum: «Früher war es sauber. Jetzt ist es dreckig.» Es gebe kaputte Duschen, verstopfte Lavabos und unbrauchbare Toiletten. Die Bewegungsfreiheit sei eingeschränkt, die Betreuung spärlich, die Aufsicht erniedrigend. Ständig kämen Polizeikontrollen.

Neue Funktion des Zentrums

Seit einem Monat ist Biel-Bözingen ein reines Rückkehrzentrum. Die Stimmung habe sich verschlechtert, sagt Naima Chouaf, die mit ihrem Mann und zwei Töchtern dort lebt. Sie sehe mehr Aggression, und – trotz Verbot– mehr Alkoholkonsum bei Männern. «Es ist für uns nicht angenehm hier, für die Kinder auch nicht. Wir haben kein stabiles Leben hier.»

Amar Salim und Naima Chouaf sind zwei von rund 140 Menschen im Rückkehrzentrum in Biel. 22 von ihnen sind Kinder.

Doch Biel-Bözingen sei kein Gefängnis, es sei einfach das Zuhause, welches diese Menschen haben, sagt Lutz Hahn von der Betreuungsfirma ORS, die alle Rückkehrzentren im Auftrag des Kantons Bern führt. «Aber», sagt er, «es gibt gewisse infrastrukturelle Probleme. Die Unterkunft ist ja nicht neu.» Mängel würden sie so gut es gehe beheben.

Acht Franken Nothilfe im Tag

Doch Mitleid sei nicht ihr Ansatz. Sie würden den Menschen auf Augenhöhe begegnen. Hahn fügt an: «Natürlich kommt ab und zu die Polizei und holt Leute ab.» Andererseits sei auch klar, dass ein Frustpotenzial vorhanden sei, denn die Leute dürften nicht arbeiten.

Die Realität sei in reinen Rückkehrzentren härter als in anderen Kollektivunterkünften, sagt Carsten Schmidt. Er leitet die Fachstelle Migration bei der reformierten Kirche Bern-Jura-Solothurn: «Man will ihnen mit der Art der Unterbringung auch signalisieren, dass sie gehen müssen.» Diese Leute lebten von acht Franken am Tag, hätten keine Tagesstruktur und kaum Kontakte nach aussen.

Sie würden so lange vergrämt, bis sie gehen würden. Allerdings blieben viele trotzdem. «Aber es kann doch nicht sein, dass man sagt, okay, wir lassen mehrere 100 Personen über Jahre verelenden und psychisch kaputtgehen.»

Allein im Kanton Bern haben rund 700 Menschen einen negativen Asylentscheid, etwa 360 davon sind in Rückkehrzentren untergebracht, einige schon jahrelang. Genau das sei das ungelöste Kernproblem des Asylwesens, kritisieren Schmidt und andere Vertreter von Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen.

Im Kanton Bern leben rund 130 Menschen zwischen drei bis fünf Jahren in der Nothilfe, 15 schon seit über zehn Jahren.

«Leidensweg» verhindern

Diese Langzeitfälle missfallen auch Markus Aeschlimann, dem Leiter des Amtes für Bevölkerungsdienste im Kanton. Er setzt im Kanton Bern die Asylstrategie um. Er sagt: «Das Staatssekretariat für Migration hat festgestellt, dass diese Menschen zurückkehren könnten. Aber sie wollen nicht.»

Die Asylgesetzrevision habe zum Ziel gehabt, so Aeschlimann, dass im Bundeszentrum rascher entschieden werde. «Dann wird der Leidensweg, einem Kanton zugewiesen zu werden, vermieden. Dann weiss man schon im Bundeszentrum, dass man keine Chance hat.» Allerdings müsse sich diese Praxis erst einspielen.

Wer grundsätzlich gegen Rückkehrzentren und Nothilfe sei, müsse versuchen, das Asylwesen in der Schweiz politisch zu verändern.

Rendez-vous, 12.08.2020, 12:30 Uhr

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