Zweieinhalb Jahre hat sich der Bundesrat die Zähne an der Zuwanderungsinitiative ausgebissen. Die Quadratur des Kreises hat er nicht geschafft, und auch das Parlament tut sich gelinde gesagt schwer. Nichtsdestotrotz: Die Debatte wird wie kaum eine andere im medialen Scheinwerferlicht geführt – und ist zur Arena für parteipolitische Inszenierungen, persönliche Abrechnungen und unheilige Allianzen geworden.
Das sind die wichtigsten Köpfe der Debatte
- Kurt Fluri (FDP/SO): «Good Cop»
Architekt des «Inländervorrang light» , Verfechter der Bilateralen – und der beste Feind der SVP. Kurt Fluri hat seit der Herbstsession viele Namen. Für diejenigen Parlamentarier, die für eine sanfte Umsetzung der Zuwanderungsinitiative plädieren, sprang der Solothurner Stadtpräsident mit seiner unverbindlichen Stellenmeldepflicht in die Bresche. Der Geist war aus der Flasche: Die SVP witterte Verrat am Volk, Fluri parierte die teils heftigen Angriffe mit einem bürgerlichen Schulterzucken.
- Philipp Müller (FDP/AG): «Bad Cop»
Mit Verve fordert Fluris Parteikollege eine Verschärfung des «Inländervorrang light» – getreu dem Motto «Guter Bulle – böser Bulle»? Müllers Forderung, Unternehmen zu Vorstellungsgesprächen zu verpflichten und allfällige Absagen zu begründen, wird als «Bürokratiemonster» gebrandmarkt. Als einer der Chefstrategen der Wirtschaftspartei muss sich Müller teils beissende Kritik von Unternehmern anhören. EMS-Chefin und SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (SVP/GR) drohte in der Sonntagspresse mit dem Referendum.
- Gerhard Pfister (CVP/ZG): Der Querschläger
Brückenbauer war gestern: Als neuer Präsident inszeniert Pfister die Christdemokraten als unbequeme Klartext-Partei – nicht nur, wenn es um die vermeintlich christlichen Wurzeln der Schweiz geht. Im Herbst erschütterte sein unvermittelter Vorstoss für ein härteres Regime gegenüber Brüssel das Ratsgebälk. Jetzt bekämpft der Nationalrat die «wirtschaftsfeindlichen» Pläne des «Modells Müller»: Notfalls soll die Schweiz einseitige Massnahmen zur Drosselung der Zuwanderung festlegen können.
- Pirmin Bischof (CVP/SO): Hart, aber fair
Er trägt, gewohnt konziliant, Pfisters Fackel im Ständerat weiter: Als Vertreter der «Kommissionsminderheit I» plädierte Bischof für eine «möglichst verfassungsnahe» Umsetzung der MEI – «einseitige Abhilfemassnahmen» inklusive, bei denen Brüssel kein Veto-Recht hat. «Die Einwanderung selbst steuern und die Freizügigkeit bewahren, das geht nicht!», warf ihm Ratskollege Hans Stöckli (SP/BE) entgegen. Denn Feuer könne man nicht mit Wasser mischen: «Das kann nicht einmal der Papst, wie soll es dann ein Bischof schaffen?»
- Albert Rösti (SVP/BE): Der Empörte
«Was haben wir? Wir haben nichts!» Der Präsident der SVP gilt als «gmögiger Bärner», die Rolle des Einpeitschers war ihm in der Herbstsession nicht zugedacht. Als der Nationalrat aber nach fünfstündigem Redemarathon den «Inländervorrang light» guthiess, platzte dem sonst so kontrollierten Polit-Strategen der Kragen. Es war ein Moment echter Emotionalität an einem Abend, an dem manch «animal politique» auch mal für die Kameras brüllte.
- Cédric Wermuth (SP/AG): Der Trittbrettfahrer?
Namhafte SVP-Vertreter bezichtigen die Sozialdemokraten, die eigene Initiative gekapert zu haben: Statt die Zuwanderung zu begrenzen, würden sie den Arbeitsmarkt mit flankierenden Massnahmen überziehen. Cédric Wermuth, der angriffslustigste SPler in der MEI-Debatte, schoss in der Herbstsession scharf zurück : «Sie haben nie Interesse an einer Lösung gezeigt! Die Frage sei erlaubt, wer die Wählerinnen und Wähler hinters Licht geführt hat.» Die Fehde dürfte kommende Woche ihre Fortsetzung finden.
- Adrian Amstutz (SVP/BE): Der Zeremonienmeister
«Das ist in Hochglanz verpackter Verfassungsbruch (...) Sie sind die Totengräber der direkten Demokratie!», schmetterte der Fraktionschef der SVP in der Herbstsession dem versammelten Nationalrat entgegen. Gleich mehrmals sorgte der Berner Oberländer, bestens vorbereitet auf die Mutter aller Debatten, für ein Raunen im weiten Rund. Die Ratslinke nahm den Fehdehandschuh nur allzu gerne auf. Mit einem Kunstgriff streckte Amstutz seine eigene Redezeit.
- Paul Rechsteiner (SP/SG): Der mit dem Wolf tanzt
Einig, dass man sich nicht einig ist: In Wirtschaftsfragen sind die SP und die FDP für gewöhnlich natürliche Feinde; der anstehende Abstimmungskampf um die Unternehmenssteuerreform III dürfte ein Muster davon abgeben. Einer der Chefkritiker von «Turbokapitalisten» ist der altgediente Gewerkschafter Paul Rechsteiner: In der MEI-Debatte befürwortete er allerdings eine unheilige Allianz mit der FDP – und taufte den «Inländer-» zum «Arbeitslosenvorrang» um.
- Peter Föhn (SVP/SZ): Der doppelte Föhn
«Föhn steht ganz klar auf der Seite der Verfassung und nicht auf der Seite irgendeines Vertrages, der irgendwann einmal mit der EU gemacht wurde», stellte der Schwyzer Volksvertreter in der kleinen Kammer klar. Tatsächlich herrschte Klärungsbedarf: Denn Föhn ist zugleich Präsident der Staatspolitischen Kommission des Ständerats, die für das «Modell Müller» plädiert – ein rotes Tuch für Föhns Partei. Auch der Schwyzer SVP-Mann geisselte den «Staatsstreich» der Parlamentarier. Die Stimmung im Stöckli blieb ständerätlich entspannt.
- Balthasar Glättli (Grüne/ZH): Der Anwalt der Zuwanderer
Viel wurde in den letzten drei Jahren über die Zuwanderung gesprochen, dabei gingen die Zuwanderer – also die Menschen hinter dem «Problem» – fast vergessen. Grund genug für Balthasar Glättli, eine Lanze für diejenigen zu brechen, «die unseren Wohlstand mehren, unsere Schulhäuser bauen, unsere Älteren pflegen, an Universitäten und Firmen innovative Erfindungen machen.» Realpolitisch blieb das Statement eine Randnotiz. Bemerkenswert war es allemal.