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Andreas Geringer – der Vermittler
Aus Schweiz aktuell vom 23.09.2019.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 22 Sekunden.
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Zwischen Fahrenden und Kanton Vermittlerjob mit Frustpotential

Andreas Geringer ist Fahrender und vermittelt im Auftrag des Bundes im Streit um Transitplätze. Eine Aufgabe, die ihn auch an seine Grenzen bringt.

Im Auto auf der Strasse – so verbringt Andreas Geringer die meiste Zeit. Er ist Fahrender und oft unterwegs von einem Ort zum anderen. Wir begleiten ihn im Frühling auf den provisorischen Standplatz in Brügg bei Biel/Bienne (BE). Hier trifft er auf Bauarbeiter, die den Platz herrichten. Der Platz im Industriegebiet direkt an der Autobahn soll wenige Tage später ausländischen Fahrenden zur Verfügung stehen.

Geringer nimmt die Fahrenden in die Pflicht: «Wir müssen auch wieder lernen, solche Plätze zu respektieren. Dann gäbe es allgemein viel weniger Probleme.» Die Gemeinde Brügg hat den Platz aus eigenem Antrieb geschaffen, befristet bis Herbst 2019, mit klaren Regeln wie Platzmieten und einem Abfallmanagement. Für Geringer ist klar, dass genau hingeschaut wird, ob es in Brügg funktioniert.

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Andreas Geringer: «Wir Fahrenden müssen lernen, gewisse Plätze wieder zu respektieren»
Aus News-Clip vom 26.09.2019.
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Jedes Jahr im Frühling reisen ausländische Fahrende in die Schweiz, meist um zu arbeiten oder durchzureisen. Zeitweise sind mehrere hundert Wohnwagen hierzulande unterwegs. Meistens läuft diese Reise ohne grosse Probleme. Doch immer wieder gibt es Konflikte, weil geeignete Plätze fehlen oder weil bestimmte Gruppen Fahrender Land besetzen und die Plätze verdreckt hinterlassen.

Andreas Geringer versucht seit Jahren, hier entgegenzuhalten und ausländischen Fahrenden die Gepflogenheiten in der Schweiz zu erklären. Er ist überzeugt: «Wenn man das Gespräch sucht und aufeinander zugeht, kann man sehr vieles lösen.» Dafür reist er manchmal auch in den Wintermonaten ins nahe Ausland, um Gruppen Fahrender aufzusuchen, die jeweils im Sommer in die Schweiz kommen.

Geringer hat Verständnis für beide Seiten: für die sesshafte Bevölkerung und für die Fahrenden. Er ist Präsident des Verbandes Sinti und Roma Schweiz und seit zwei Jahren Mediator im Auftrag mehrerer Kantone und des Bundes. Er ist Sohn einer Jenischen und eines Sinto. Selbst wohnt er mit seiner Frau in einem Wohnwagen, den er immer mal wieder auch vor das Haus seiner Schwester stellt. Geringer hat eine Lehre im Detailhandel gemacht und die Rekrutenschule absolviert.

Vorurteile sind selten bei der Arbeit

Neben seinem Job als Mediator arbeitet er heute selbstständig auf Montage, meist auf Baustellen oder in Schreinereien. Die Zeit des klassischen Messer- und Scherenschleifens sei vorbei. Es bringe heute schlicht zu wenig Geld ein. «Es geht nicht auf, für ein Messerchen vier Franken zu verlangen, wenn es ein neues heute schon für zwei Franken gibt.» Die Arbeit als Monteur sei für ihn eine gute Alternative.

Seine Herkunft sei bei der Arbeit kaum ein Thema, Vorurteile gebe es selten. Und wenn doch, würden sie schnell schwinden, wenn die anderen sähen, wie er arbeite, pünktlich und ordentlich sei. «Ob ich Fahrender bin oder nicht: Mühe gebe ich mir immer – das ist eine Selbstverständlichkeit.»

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Andreas Geringer: «Wir haben ein grosses Problem mit gewissen Fahrenden»
Aus News-Clip vom 26.09.2019.
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Vor zwei Jahren war Andreas Geringer stark gefordert. Die Wogen gingen hoch, als der Kanton Bern im Sommer 2017 bekannt gab, in Wileroltigen einen fixen Transitplatz für ausländische Fahrende zu planen. Im Dorf formierte sich Widerstand. Eine Gruppe Fahrender hinterliess zudem Abfall und Fäkalien. Auch dank Mediator Geringer hat sich die Situation wieder beruhigt. Der folgende Sommer 2018 verlief deutlich ruhiger. Kaum eine negative Schlagzeile war zu lesen, was zum Teil auch Verdienst des Vermittlers war, der ständig auf Achse war und viele Gespräche geführt hat.

Kontroverse um fixen Transitplatz

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Legende: Keystone

Der Kanton Bern hat den politischen Auftrag, einen fixen Transitplatz für ausländische Fahrende zu schaffen. Damit soll verhindert werden, dass Fahrende spontan auf Parkplätzen oder Bauernhöfen Halt machen. Pläne für einen fixen Transitplatz in der Gemeinde Meinisberg scheiterten 2016 im Kantonsparlament. Der Grund: Mit neun Millionen Franken war das Projekt dem Parlament zu teuer.

Darauf hat die Kantonsregierung ein neues Projekt vorgeschlagen; in Wileroltigen – mit 3.3 Millionen Franken deutlich günstiger. Das Kantonsparlament hat dem zugestimmt, trotz Widerstand der lokalen Bevölkerung. Die Junge SVP des Kantons Bern hat das Referendum ergriffen, im Februar wird über das Projekt abgestimmt. Bis es einen fixen Transitplatz gibt, braucht es temporäre Plätze, wie sie im Moment in Brügg und Gampelen bestehen.

Wir treffen Geringer diesen Herbst wieder in Brügg. Bei der Gemeinde wie auch bei den Fahrenden selbst zieht man eine positive Bilanz über das zweijährige Pilotprojekt in Brügg. Nicht überall lief es allerdings so reibungslos wie hier. Auf dem Rastplatz Wileroltigen hatte sich eine Gruppe Fahrender niedergelassen, was zu Diskussionen führte. Eine andere Gruppe hielt sich in Gampelen nicht an abgemachte Regeln, es gab Verunreinigungen auf umliegenden Feldern.

Es gibt schwarze Schafe – wie überall.
Autor: Andreas Geringer Fahrender und Mediator

Obschon der Sommer sonst weitgehend ruhig verlief, sind diese Vorfälle an Mediator Geringer nicht spurlos vorbeigegangen. Es nage an ihm, sagt er: «Es ist für mich ein Stich ins Herz.» Es könne nicht sein, dass wegen einer kleinen Gruppe alle Fahrenden in einen Topf geworfen würden. Der überwiegende Teil der Fahrenden verhalte sich sehr positiv, halte sich an die abgemachten Regeln und hinterlasse die Plätze sauber. «Es gibt aber schwarze Schafe, wie überall.»

Auf Tuchfühlung mit der SVP

Es gelte, diese Gruppen in den Griff zu kriegen, hinzustehen und klar zu machen, welche Regeln in der Schweiz gelten, so Geringer. Aktuell geht er auch auf Tuchfühlung mit der SVP, die sich im Kanton Bern immer wieder gegen Plätze für ausländische Fahrende gewehrt hat. Man müsse eben mit allen sprechen, um weiterzukommen, sagt Geringer.

Ich mache das nicht für mich selber. Ich mache das für das fahrende Volk, für unsere Kinder und unsere Zukunft.

Sein Job als Vermittler bringt ihn immer wieder zwischen die Fronten und braucht viel Energie. Fahrende würden erwarten, dass er sie vertritt, Behörden und Bauern, dass er Regeln hart durchsetzt. Das sei nicht immer einfach. Man könne nicht allen gefallen. Aufhören will er dennoch nicht. Zwischendurch denke er zwar schon daran, alles an den Nagel zu hängen. Aber: «Ich mache das ja nicht für mich selber. Ich mache das für das fahrende Volk, für unsere Kinder und unsere Zukunft.»

Es brauche jemanden, der den Fahrenden ein Gesicht gebe. Viele seien zurückhaltend und skeptisch, auch weil sie Negatives erlebt haben, so Geringer. Fahrende hätten Ängste, ebenso wie Sesshafte. Dabei seien alle einfach nur Menschen: «Wir sind nicht so viel anders. Wir Leben halt einfach im Wohnwagen.»

Seit Februar ist Geringer ständig auf Achse und er wird auch dieses Jahr wohl bis im November unterwegs sein, um sich für die Sache der Fahrenden einzusetzen. Seine Hoffnung ist, dass künftig Spontanhalte bei Bauern oder auf Brachen wieder vermehrt möglich sein werden. Oder dass Gemeinden dem Beispiel von Brügg folgen und kleine Plätze bereitstellen damit Fahrende weiterhin in der Schweiz Halt machen können.

Dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte

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Die Lebensweise der fahrenden Völker zum Verschwinden zu bringen – das war das erklärte Ziel der Aktion «Kinder der Landstrasse». Die Stiftung Pro Juventute wollte das erreichen, indem sie den Jenischen und Sinti die Kinder wegnahm. Über 600 Kinder wurden bis in die frühen 1980er-Jahre in Heime, Pflegefamilien oder psychiatrische Kliniken gebracht, mit Unterstützung der Behörden.

Ursula Waser war ein solches Kind. Ihre Kindheit verbrachte sie in über 20 Heimen. Sie wurde behördlich umher geschoben und sexuell misshandelt. Heute setzt sie sich in mehreren Stiftungen für die Opfer der «Kinder der Landstrasse» ein. Vieles sei aufgearbeitet worden, sagt sie, in einer Expertenkommission und in Forschungsprojekten.

Doch nicht alles sei durchleuchtet worden. Die Rolle der Justiz und der Gerichte haben man nicht untersucht. Ihr selbst habe man vor Gericht nicht geglaubt, dass sie vom Stiefvater vergewaltigt worden sei. Als Beleg für die Lüge habe dem Gericht ein Aufsatz aus der Schule gedient. Statt ihren Peiniger zu verurteilen, steckte man sie in eine weitere, geschlossene Anstalt.

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