«Zu Beginn kostete es mich viel Überwindung, das Telefon in die Hand zu nehmen, und Nadja zu fragen, ob sie wohl für mich einkaufen gehen könne.» Die Wolhuserin Marlies Dissler erinnert sich an den Anfang des Corona-Lockdowns, als es plötzlich hiess, sie solle nicht mehr einkaufen gehen und möglichst zu Hause bleiben. «Ich dachte zunächst noch, ich könnte ja die grossen Center mit den Menschenmassen meiden und trotzdem einkaufen gehen.»
Als der Sohn der über 70-jährigen Frau ihr dann ins Gewissen redete, entschied sie sich doch, das Angebot ihrer ehemaligen Arbeitskollegin Nadja Stadelmann anzunehmen. Diese verteilte in der Nachbarschaft und bei Bekannten aus der Risikogruppe Zettel mit ihrer Telefonnummer und dem Angebot, für ältere Menschen einkaufen zu gehen.
«Es war klar, dass ich etwas tun muss»
«Für mich war klar, dass ich etwas tun muss», meint Stadelmann, «es war an der Zeit, zusammenzustehen». Stadelmann sitzt zusammen mit Marlies Dissler auf der Couch in ihrem Wohnzimmer. Jetzt, wo der Bundesrat dies wieder erlaubt. Seit Mittwoch sollen sich über 65-Jährige wieder frei bewegen, ihre Enkel besuchen und eben selbst einkaufen gehen.
An den Wochenenden legte sie mir zusätzlich noch was für einen Apéro rein, oder ein unterhaltsames Heftli. Einfach so.
Nachdem dieser Teil des Spuks vorüber ist, verspürt Marlies Dissler vor allem eines: Dankbarkeit für die Hilfe, die sie ungefragt bekommen hat. Gerührt denkt sie an besondere Momente zurück «Nadja hat mir ja nicht nur das in die Einkaufstasche getan, was auf dem Zettel stand. An einem Wochenende war noch ein besonderes Apérogetränk dabei oder ein unterhaltsames Heftli drin. Einfach so.»
Über 700 Hilfsangebote
Solche Momente, wie sie Nadja Stadelmann ihrer ehemaligen Arbeitskollegin beschert hat, gab es unzählige. Teilweise durch privat organisierte Nachbarschaftshilfe, teilweise vom Staat in die Wege geleitet. In Luzern koordinierte das der kantonale Führungsstab unter der Leitung von Andreas Schmid. Über 700 Leute hätten sich bei ihnen gemeldet und ihre Hilfe angeboten.
«Die Angebote kamen von verschiedensten Menschen. Viele waren etwa in der Kurzarbeit und wollten die freie Zeit nutzen, um anderen zu helfen. Oder es waren Medizinstudenten, die Zeit hatten, weil sie noch in der Ausbildung waren», so sich Schmid. «Eine Vielfalt von Leuten, ein Spiegel der Gesellschaft.»
Schweizweit einzigartig war das Engagement einer Gruppe Frauen um Simone Mayer. Sie hat sozusagen ein grosses Hilfsnetz um den Kanton Schwyz gespannt. In der Gruppe Schwyz hilft finden sich inzwischen Gemeinden, Institutionen und Privatpersonen. Sie soll bestehen bleiben. Simone Mayer und ihre Mitstreiterinnen sind bereits daran, das Engagement auch für die Nach-Corona-Zeit weiter zu organisieren.
Wissen geht nicht verloren
Auch in Luzern soll etwas zurückblieben. Obwohl die Hilfe jetzt nicht mehr gebraucht würde, hätten sie Erfahrungen gesammelt, von denen sie auch künftig profitieren könnten, meint Andreas Schmid vom kantonalen Führungsstab. «So eine koordinierte Freiwilligenarbeit könnte auch in anderen Krisensituationen helfen. Die Infrastruktur, die wir uns jetzt angeeignet haben, können wir reaktivieren.»
Marlies kann sich jederzeit bei mir melden.
Auch Nadja Stadelmann, die mittlerweile nur noch mit einem Einkaufszettel unterwegs ist, würde ihre Hilfe jederzeit wieder anbieten. «Marlies kann sich jederzeit bei mir melden, wenn ihr nicht wohl sein sollte oder sonst was ist.»