Mindestens zehn Prozent der finanziellen Mittel für sonderpädagogische Massnahmen müssten in Zukunft für die Förderung hochbegabter Kinder zur Verfügung stehen – dies forderte der Sekundarlehrer Christoph Ziegler von den Grünliberalen heute im Zürcher Kantonsrat.
Alle wollen Begabte besser unterstützen
Derzeit flössen praktisch alle Fördermittel an die Leistungsschwachen, so Ziegler. «Die besseren Schülerinnen und Schüler werden vernachlässigt.» Eine Mehrheit des Parlaments unterstützte Zieglers Forderung nach einer Förderquote für Hochbegabte und überwies den Vorstoss an die Zürcher Kantonsregierung.
Bildungsdirektorin Silvia Steiner zeigte sich zwar skeptisch, ob sich die Forderung umsetzen lasse, kündigte aber an, dass sowieso ein Massnahmenpaket zur Förderung von Hochbegabten in Vorbereitung sei. «Wir werden Abhilfe schaffen», versprach sie den Parlamentariern.
Unterforderung kann krank machen
Das sei in der ganzen Schweiz bitter nötig, findet Joelle Huser. Die frühere Sekundarlehrerin befasst sich seit über 20 Jahren mit dem Thema und berät heute in ihrer Praxis «Lichtblick» in Zürich Schulen und Eltern von begabten Kindern. Sie weiss: Ein Kind, das zum Beispiel in Mathematik besonders begabt sei, langweile sich schnell im Schulunterricht und sei unterfordert. Mit verheerenden Folgen.
Unterforderung führe zu Stress, zu psychosomatischen Symptomen und anderen Krankheiten. «Die Folgen von Unterforderung sind wirklich nicht zu unterschätzen», betont Huser. Es sei deshalb wichtig, dass Schulen begabte Kinder früh erkannten und individuell förderten.
Grosse Unterschiede in der Schweiz
Dies kann etwa mithilfe sogenannter Pullout-Klassen geschehen, mit denen Kantone wie Schwyz oder Basel Stadt schon einige Jahre arbeiten: Kinder mit einer ausgeprägten Begabung werden für gewisse Schulstunden aus der Regelklasse geholt und besuchen mit anderen Begabten einen speziellen Unterricht, der auf ihre besonderen Bedürfnisse ausgerichtet ist.
Doch nicht alle hochbegabten Kinder hätten das Glück, eine Schule mit einem solchen Programm zu besuchen. Leider sei das von Schulgemeinde zu Schulgemeinde verschieden, so Huser. Viele Gemeinden könnten sich dies nicht leisten. «Dann hängt die Förderung vom Portemonnaie der Eltern ab.»
Ohne grossen Aufwand wäre mehr möglich
Ganz so negativ sieht es Martin Straumann nicht. Der emeritierte Professor für Schulpädagogik ist der Meinung, in den Schulen seien bereits genug Strukturen und Wissen vorhanden, um begabte Schülerinnen und Schüler ohne grosse Zusatzmassnahmen zu fördern. Zwar sei es nicht ganz einfach, gibt er zu.
Doch: «Wenn man gut zusammenarbeitet und das Potenzial der Lehrpersonen nutzt, dann ist es möglich, Begabtenförderung zu betreiben, ohne dass man viele Spezialisten zusätzlich anstellen muss.» Dafür brauche es aber genug Lehrpersonen mit entsprechender Ausbildung, so Straumann.
Diese Forderung stellte auch der Schweizerische Lehrerinnen- und Lehrerverband jüngst in einem Positionspapier auf. Die Pädagogische Hochschule Nordwestschweiz setzt das bereits um: Sie bietet seit letztem Jahr den bislang einzigen Weiterbildungsmaster auf dem Gebiet der Begabungs- und Begabtenförderung an.