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Antworten auf Ihre Fragen «Unter welchem Preis sind alle Krankheiten heilbar?»

Ferdinand von Meyenn, Felix Schneuwly und Isabelle Noth haben Ihre Fragen im Live-Chat beantwortet.

Die Medizin hat in den letzten Jahren erstaunliche Fortschritte gemacht. Fortschritte, die die Frage aufwerfen, ob eine Welt ohne Krebs, Diabetes und Alzheimer möglicherweise eine realistische Zukunftsvision ist. Doch was würde mit der Gesellschaft passieren, wenn alle Krankheiten heilbar wären? Wie würden sich Arbeitsleben, AHV und Krankenkassen verändern? Wie unser Verständnis des Todes? Dazu beantworteten Expertinnen und Experten Ihre Fragen.

Die SRF-Rubrik Was wäre, wenn ...?

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In der multimedialen Rubrik «Was wäre, wenn …?» leuchtet SRF Zukunftsszenarien aus. In einem Gedankenexperiment wird eine radikale oder unerwartete Entwicklung durchgespielt. Dieser Ansatz soll helfen, besser zu verstehen, was in der Zukunft geschehen könnte. SRF begleitet das jeweilige Thema rund 24 Stunden online, am Radio und im TV. Dabei werden Zuschauerinnen und User eingeladen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.

Alle Artikel, Expertenchats und Videos der Rubrik «Was wäre, wenn …?» finden Sie hier.

Haben Sie weitere Ideen für Zukunftsszenarien, die SRF beleuchten soll? Schicken Sie uns gerne Ihren Input an  communities@srf.ch.

Gäste im News-Chat

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Isabelle Noth
Professorin für Seelsorge und Religionspsychologie
Universität Bern

Felix Schneuwly
Gesundheits- und Krankenkassenexperte
Comparis

Ferdinand von Meyenn
Epigenetiker
ETH Zürich

Chat-Protokoll

Guten Tag Mich würde das sehr freuen. Ich habe Hashimoto und habe heute Morgen noch zu meinem Mann gesagt, dass ich so gerne einen gesunden Körper hätte. Würde so gerne normal funktionieren wie gesunde Menschen. Würde es helfen wenn die Politik mehr Geld ins Gesundheitssystem würde investieren?

Felix Schneuwly: Wenn Sie die Forschung als Teil des Gesundheitswesens betrachten, ja. Die Freiheit der Forschung und Lehre ist aber wichtig. Der Staat soll weiterhin die Grundlagenforschung finanzieren, ohne die Forschungsinhalte zu definieren. Die Industrie darf dann von den Ergebnissen der Grundlagenforschung profitieren und Medikamente sowie Therapien entwickeln. Bloss etwa jede zehnte Therapie übersteht die Entwicklungsphase inkl. klinische Tests und bekommt eine Zulassung. Weil das Risiko gross ist, sind auch die Gewinnerwartungen entsprechend hoch. Insbesondere bei seltenen Krankheiten nimmt das Forschungsinteresse zu, weil bei Erfolg innovative Therapien lukrativ sind.

Ich kenne einen Medizinstudenten, der mir letztens erzählt hat, dass seiner Meinung nach eine Lockerung an Medikamententests an Menschen sinnvoll wäre. Natürlich nicht sinnloses Testen, aber Medikamente die bei ersten Tierversuchen sehr positiv erscheinen und für die es schwerkranke Leute gibt, die es nötig haben. So viel ich weiss, müssen diese Medikamente auch extrem ausgiebig getestet werden. In diesen Jahren sterben möglichweise massenhaft Leute an der Krankheit, für welche ein mögliches Medikament schon existiert. Was ist ihre Meinung dazu?

Ferdinand von Meyenn: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen gibt es immer wieder Entwicklungen, die man so schnell als möglich den Patienten zur Verfügung stellen will und manchen sicher damit auch geholfen werden kann. Gleichzeitig aber sind viele Nebenwirkungen in den frühen Stadien noch nicht bekannt. Die Frage als wäre auch, wie damit umzugehen ist, wenn ein Medikament trotz positiven ersten Daten doch starke Nebenwirkungen, hat, die man durch weitere Versuche identifizieren hätte können. Ein weiterer Punkt ist, dass diese Medikamente häufig auch noch sehr teuer sind, vor allem wenn sie in einem nicht «standardisierten» Setting eingesetzt werden. Wer soll das bezahlen? Die Krankenkassen, der Staat, die Pharmafirma, die es entwickelt hat? Der Patient selbst?

Wäre die Lebenserwartung von Menschen in einer Welt ohne Krankheiten nicht so hoch, dass neue gravierendere Probleme auftauchen würden? Zum Beispiel noch grösserer Platzmangel/Siedlungsdruck, jahrelanges psychologisches und physisches Leider im Alter vor dem Tod (ausser man hätte noch bessere Ausstiegsmöglichkeiten wie Exit), Altersarmut etc.

Isabelle Noth: Es ist sinnvoll (und hilfreich), sich ganz konkret kranke Personen vor Augen zu führen. Können wir deren Krankheiten wirklich wollen, um mögliche (keineswegs notwendige) Probleme zu vermeiden? Geht es nicht vielmehr darum, mit diesen Menschen mitzufühlen, ihre Schmerzen zu lindern suchen und gleichzeitig gesellschaftliche Fragen und Herausforderungen anzugehen? Ich denke, es ist wichtig, hier nicht das eine gegen das andere auszuspielen. Menschen mit einer Erkrankung muss geholfen werden, und gesellschaftliche Fragen wie Kosten etc. müssen solidarisch angegangen werden. Es braucht beides.

Frage an Felix Schneuwly: Wie würde sich das auf die Krankenkassen auswirken? Danke für Ihre Antwort.

Felix Schneuwly: Etwa 20 Prozent der Versicherten verursachen etwa 80 Prozent der Kosten. Der Hauptkostenanteil sind Personalkosten. Könnten wir alle Krankheiten heilen, würde das zu höheren OP- und Medikamentenkosten sowie zu tieferen Pflegekosten führen und gleichzeitig unsere Arbeitsproduktivität steigern, weil wir ja nicht mehr lange krank wären. Ich vermute, dass das Wachstum der OP- und Medikamentenkosten höher wäre als die sinkenden Pflegekosten. Die Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien würden also weiter steigen, aber weniger stark als jetzt. Und wir könnten das Wachstum dank steigender Produktivität weiterhin finanzieren, solange die Wirtschaft wachsen würde. So war es auch in den letzten hundert Jahren, obwohl die Krankenkassen stets vor dem finanziellen Kollaps warnten und warnen. Wenn die Wirtschaft weiter wächst, bezahlen wir auch mehr Steuern und können die Menschen, welche ihre Krankenkassenprämien nicht bezahlen können, mit individuellen Prämienverbilligungen entlasten.

Gibt es mittlerweile neue Erkenntnisse zu Tinnitus? Wird da geforscht? Gibt immer mehr Betroffene, aber ausser einer Psychotherapie scheint nix wirklich zu helfen.

Felix Schneuwly: Je mehr wir über die Ursachen von Tinnitus wissen, desto grösser werden die Heilungschancen. Tinnitus kann auch wieder verschwinden. Mir sind aber keine verlässlichen Zahlen über das Verschwinden und die Heilung von Tinnitus bekannt. Tinnitus ist für die Betroffenen ähnlich wie chronische Schmerzen. Deshalb ist Psychotherapie wichtig.

Wie würde sich dadurch die Arbeit des Pflegepersonals verändern? Fände ich spannend, danke für Ihre Gedanken dazu.

Felix Schneuwly: Jede Krankheit, die man durch eine Operation oder ein Medikament vollständig heilen kann, beseitigt Leid und erfordert keine Pflege mehr. Würde zum Beispiel ein Medikament erfunden, dass Alzheimer verhindert, würde das den Pflegefachkräftemangel massiv reduzieren.

Wie zentral ist die Rolle von Zellen beim Alterungsprozess und bei Krankheiten? Sind sie quasi der Schlüssel zum ewigen Leben?

Felix Schneuwly: Ja, das ist der Schlüssel. Denn Krankheiten sind ja nicht die Folge des Alterungsprozesses von Zellen, sondern von Fehlfunktionen von Zellen oder ungenügender Abwehr gegen fremde Zellen wie Bakterien und Viren. Krankheiten heilen und ewig leben sind also zwei verschiedene Dinge.

Ist es das was Epigenitik erreichen will? Oder was genau ist das Ziel dieser Forschungsrichtung?

Ferdinand von Meyenn: Die Epigenetik ist eine noch recht junge Forschungsrichtung, die sich damit beschäftigt, wie im Körper die Aktivität von Genen gesteuert wird. Sie können es sich wie folgt vorstellen: In (fast) jeder unserer Zellen* haben wir eine exakte Kopie unseres Genoms, also aller Gene (man kann sich das Genom wie ein dickes Anleitungsbuch vorstellen). Und diese Kopie ist in allen Zellen identisch, ob Leberzelle, Nervenzelle oder Hautzelle. Damit nun aber die Leberzelle weiss welche Seiten in dem «Buch» für sie wichtig sind, sind manche dieser Seiten in der Leberzelle als markiert und einige andere Seiten sind in der Hautzelle markiert. Diese Markierungen sind vor allem epigenetische Signaturen, die Zelleigenschaften und den Aktivitätszustand von Genen beeinflussen. Und diese epigenetischen Signaturen werden während der Entwicklung «geschrieben», aber auch durch Umweltfaktoren beeinflusst. Somit ist das Ziel der Epigenetik vor allem diese Prozesse zu verstehen, aber dann natürlich auch dieses Wissen zu nutzen, um pathologische Veränderungen zu finden und wiederherstellen.

Guten Tag Leben – Tod = normaler Lebenszyklus für alles und alle Lebewesen! Mensch = Teil des Ökosystem's und damit des normalen Lebenszyklus. WASSER = das absolute Lebenselixier! Würde der Mensch noch unsterblicher gemacht durch Forschung und Medizin, würde das dem Wasserkreislauf und damit der NATUR, dem gesamten Ökosystem noch mehr schaden = immer noch mehr CHEMIE....! Alles, alles gelangt früher oder später in den «WASSER-Kreislauf»! Der Mensch = absoluter Zerstörer (Ausbeutung – Vergiftung – Verstrahlung – Vermüllung) jeglichen Leben's und somit auch der eigenen «Lebensgrundlage»! MENSCH = «im Einklang mit Natur und Tier LEBEN»! STOP der weiteren Produktion vielfältiger «CHEMIE en masse»!! Fehlverhalten von MENSCH: Teufelskreislauf «CHEMIE» = Wasserkreislauf = Grundnahrungs- und Lebensmittel – Belastung von Ökosystem – TIER und damit MENSCH!! Mensch: Denken vor Handeln!

Felix Schneuwly: Die ersten Einzeller waren übrigens unsterblich. Sie teilten sich einfach. Der Tod ist insofern ein Fortschritt in der Evolution, als neue Lebewesen sich besser an die sich verändernde Umwelt anpassen konnten. Der Mensch beeinflusst seine Überlebenschancen ja nicht erst, seit es die «CHEMIE» gibt. Wir sind Teil der Natur und leben in Wechselwirkung mit der Natur, beeinflussen diese (mit oder ohne Chemie) und werden von ihr beeinflusst. Wir beeinflussen zwar immer mehr, wissen aber immer noch wenig über die Funktionsweise unseres Universums, sollten uns also nicht über- aber auch nicht unterschätzen.

Guten Tag, Die heutige Medizin ist sehr innovativ und auch Forschung/Experimente wird vieles erfunden was noch durch Testphasen laufen muss. Glauben Sie das es irgendwann, vielleicht in ein zwei Generationen es Medizin wie aus «Star Trek: the next generation geben» wird? Dort sind komplexe Organtransplantationen weniger schwierig und gefährlich. Bionik ist dann auch normaler. Danke im Voraus!

Felix Schneuwly: Organtransplantationen sind mittlerweile schon viel weniger riskant als früher. Das grösste Risiko ist nach wie vor, die Immunabwehr des eigenen Körpers gegen das fremde Organ, das permanent durch Immunsuppressiva unterbunden werden muss. Der nächste medizinische Schritt sind wohl künstliche Organe. Künstliche Gelenke werden ja schon massenweise implantiert.

Gibt es ein Heilmittel gegen schuppenflechte ?

Felix Schneuwly: Auch dort macht die Medizin Fortschritte, was die Linderung betrifft. Aber ein Medikament, dass die Schuppenflechte einfach beseitigt, gibt es noch nicht.

Unter welchem Preis sind alle Krankheiten heilbar? Keine Kinder mehr?Meiner Meinung nach sind wir auch 'gesund' nicht für die Ewigkeit gemacht. Und die Erde würde kollabieren

Felix Schneuwly: Auch wenn wir alle Krankheiten heilen können, leben wir nicht ewig, denn irgendwann erneuern sich die Zellen nicht mehr. Bei uns Menschen ist das etwa bei 120 Jahren. Unsere Lebenserwartung steigt also nicht, weil wir durch genetische Veränderungen länger leben, sondern weil wir durch bessere Medizin Krankheiten überleben, an denen man früher noch gestorben ist. Das sieht man auch in Entwicklungsländern mit viel tieferer Lebenserwartung. Dort gibt es auch sehr alte Menschen, aber viele Kinder sterben schon früh, häufig an Infektionskrankheiten oder schlechter Ernährung. Und persönlich finde ich (63) es gut, nicht möglichst lange, sondern möglichst gesund und zufrieden zu leben. Dann darf es auch einmal zu Ende sein...

man liest ja immer wieder von biotech-unternehmen vor allem in den usa mit age reversal und reprogrammig etc. die ein längeres leben versprechen… wie viel ist da dran oder ist das meiste nur hokuspokus?

Ferdinand von Meyenn: Die Forschung im Bereich Ageing hat in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Wie von Ihnen angesprochen ist das Reprogramming ein Thema, das viel Potenzial hat. Konkret geht es dabei um eine Methode, die ursprünglich in Japan entdeckt wurde (Yamanaka, Nobelpreis 2012: https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2012/yamanaka/facts/). Inzwischen wurde gefunden, dass diese Methode auch verwendet werden kann, um bestimmte zellulären Veränderungen des Alterns wieder umzukehren und in experimentellen Tiermodellen konnten damit auch gewisse Verjüngseffekte erreicht werden. Werden wir das schon morgen im Menschen machen – vielleicht nicht ganz so wie es Yamanaka gemacht hat, aber zumindest scheint es einen Weg zu geben es zu erreichen und die Forschung versucht das nun therapeutisch umzusetzen.

Wenn Kranke nicht instande wären, selber zu entscheiden, ob sie das Heilmittel nehmen möchten, sind die Angehörigen dann in der Pflicht, das Leben der Kranken zu retten?

Felix Schneuwly: Wichtig ist die Selbstbestimmung jedes Menschen. Da wir soziale Wesen sind, ist es wichtig, mit den Angehörigen genau diese Fragen zu besprechen und einen Vorsorgeauftrag (wer ist zuständig, wenn ich nicht mehr selber entscheiden kann) sowie in einer Patientenverfügung (wann will ich lebensverlängernde Massnahmen und wann nicht) klar festzuhalten. Und diese beiden Dokumente kann man ja immer wieder anpassen.

Wenn alle Krankheiten heilbar wären, würde dass im Umkehrschluss bedeuten dass es möglich wäre, dass die Lebenserwartung von Menschen bis ins unendliche steigen könnte?

Ferdinand von Meyenn: Das ist auch eine philosophische Frage – ist Altern eine Krankheit? Aber aus meiner Sicht ja, wenn wir den gesamten Körper regenerieren /verjüngen können, dann sollte auch das Altern gestoppt werden und wir würden ewig leben (oder in einem Unfall sterben)

Ich bin jetzt 40. Egal ob unheilbar krank oder nicht, Gemessen an der durchschnittlichen Lebenserwartung habe ich noch 30 bis 40 Jahre vor mir. Vielleicht sogar weniger. 30 bis 40 Jahre entsprechend etwa 10.000 bis 15.000 Tagen. Ich habe das dummerweise aus Versehen berechnet und es stresst mich seitdem, weil ich es für lächerlich niedrig halte. Selbst ein komplettes Leben, sagen wir 100 Jahre, dauert nur 36.500 Tage. Wenn die Leute antworten, dass man morgen an einem Autounfall oder so etwas sterben könnte, gibt es keine Garantie, dann nützt mir das nichts, denn was mich stresst, ist nicht, dass ich morgen oder in zwei Wochen sterben KÖNNTE, sondern was Was mich unter Druck setzt, ist, dass ich in 15.000 Jahren sterben werde. GARANTIERT, in ein paar Tagen tot zu sein. Viele denken, das ist viel, ich finde es lächerlich wenig und leider bringt es mich dazu, zu denken, dass fast jedes Projekt, das man angehen könnte, sowieso nichts nützt, ich werde sowieso bald sterben.

Isabelle Noth: Es gäbe vielleicht die Möglichkeit, die Logik umzukehren: Gerade, weil Sie – wie wir alle – sterben werden, wenden wir uns dem Leben voll und ganz zu. Sie kennen evtl. das Luther zugeschriebene Bonmot: Und würde morgen die Welt untergehen, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen. Vielleicht können Sie diese Art der Widerständigkeit mal versuchen – jetzt gerade erst recht leben.

Es gibt ja nicht nur innere Organe wie Leber, Herz, Niere, Lunge, Blut etc. Da wäre auch noch das Skelett. Laufen dann alle mit künstlichen Knie-, Hüft-, Schulter-, Ellbogengelenken herum? Im Rollstuhl, weil die Wirbelsäule kaputt ist? Und alle Blind und Taubstumm? Alles dem Alter und der Abnützung geschuldet. Es gibt eben nicht nur «Krankheiten». Arthrose zB lässt sich nicht heilen.

Ferdinand von Meyenn: Grundsätzlich gibt es keinen Grund davon auszugehen, dass zum Beispiel Knochen, Augen etc. nicht auch regenerierbar sein sollten. Vor ein paar Jahren wurde in einer interessanten experimentellen Arbeit gezeigt, dass sich zum Beispiel das Sehen in einem Tiermodell verjüngt werden konnte (https://www.nature.com/articles/s41586-020-2975-4)

Was würde mit den Weltreligionen passieren, wenn wir alle quasi «unsterblich» würden? Viele davon hätten ja ausgedient mit dem Versprechen nach einem Leben nach dem Tod… Wie würde sich grundsätzlich der Glauben verändern?

Isabelle Noth: Da würde ich widersprechen wollen. Was die christliche Religion anbelangt, so erschöpft sie sich gewiss nicht in einem Versprechen auf ein Leben nach dem Tod – zentral ist hier das Leben vor dem Tod.

Dann würden wir ja vermutlich älter. Wie steht es denn mit der AHV, wenn man jetzt schon mäckert, das man schon jetzt kein Geld mer hat. Vermutlich müssten dann alle arbeiten bis 80.

Felix Schneuwly: Wenn alle Krankheiten heilbar wären, würden wir ja auch am Arbeitsplatz nicht mehr wegen Krankheit fehlen, also produktiver. Und der technologische Fortschritt führt ja ebenfalls zu höherer Produktivität. Klar müssten wir länger arbeiten, aber Teilzeit, weil wir produktiver wären. Und wer gesund und fit ist, eine spannende Arbeit hat, arbeitet doch gerne auch im Alter.

Frage an Frau Noth gibt es Religionen oder spirituelle Bewegungen die sich mit dem ewigen Leben *auf der Erde* beschäftigen/beschäftigt haben? Oder wurde der Tod nie komplett in Frage gestellt?

Isabelle Noth: Ich vermute, Sie denken an Formen der Reinkarnationslehre. Diese hat in unterschiedlicher Prägung in verschiedenen religiösen/spirituellen Gemeinschaften einen Einfluss gehabt und hat dies noch bis auf den heutigen Tag.

Spannende Gedanken. Mich interessiert der philosophische Aspekt, würden wir dann ausschweifender leben? Oder noch besser auf uns aufpassen, damit wir nicht wegen eines blöden Unfalls so viel Lebenszeit verpassen?

Felix Schneuwly: Ja, ich gehe auch davon aus, dass wir weniger gesundheitsbewusst leben, weil die Medizin immer mehr kann. Wir sehen diese Tendenz schon jetzt, denn Übergewicht und Diabetes Typ 2 sind durch gute Ernährung und Bewegung vermeidbare Krankheiten. Apropos Unfall: In der Unfallprävention haben wir in den letzten Jahren viel grössere Fortschritte gemacht als in der Krankheitsprävention. Alkohol ist vom Arbeitsplatz verschwunden und auch im Strassenverkehr viel seltener Unfallursache. Es gibt aber immer noch zu viele Alkoholsüchtige (Krankheit).

Ich frage mich wie wünschenswert das momentan überhaupt ist nüchtern betrachtet. Pharma würde so wohl noch mächtiger werden als jetzt schon. Wie stark wäre der Einfluss? Wie heftig müsste reguliert werden?

Felix Schneuwly: Wenn wir zurückschauen und davon ausgehen, dass sich der medizinische Fortschritt fortsetzt, ist es klar, dass immer mehr Krankheiten mit Medikamenten und Operationen geheilt werden können. Angesichts der massigen Regulierungsdichte im Gesundheitswesen bin ich überzeugt, dass wir weniger, aber intelligentere Regulierung brauchen, welche die Gesundheitsfachleute von unnötiger Bürokratie entlastet und bei der Finanzierung nicht die Menge der medizinischen Leistungen, sondern die Effizienz und die Qualität, also den Therapieerfolg in den Vordergrund setzt.

10vor10, 18.01.2024, 21:50 Uhr; srf ; 

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