Zum Inhalt springen

Eine neue Art Medizin Grossbritannien: Erstmals Gentherapie mit CRISPR zugelassen

Dank Gentherapie können in Grossbritannien nun bestimmte Blutkrankheiten behandelt werden. Die Kosten sind hoch: zwei Millionen Franken pro Patient.

An einer Fachkonferenz in London zur Genschere CRISPR-Cas steht eine junge Frau vor einem Publikum aus ein paar Hundert Forscherinnen und Forschern. Die Amerikanerin erzählt, dass ihre Kinder endlich nicht mehr um das Leben ihrer Mutter fürchten müssten und dass sie selbst nun endlich wieder von einem lebenswerten Leben träumen könne.

Sie hat Sichelzellanämie, eine schweren, lebensgefährliche Form von Blutarmut, wegen der sie wieder und wieder ins Spital musste. 2019 war sie die erste Person auf der Welt, die im Rahmen einer Studie mit einer CRISPR-Therapie behandelt wurde. Vier Jahre später, im März 2023, steht sie nun in London und sagt, es gehe ihr gut.

Die Zellen des Patienten werden geheilt

«Es sind unglaubliche Zeiten», sagt Jacob Corn. Er forscht mit CRISPR an der ETH Zürich. Im Labor von Genetikern habe die Genschere die Art, wie man Wissenschaft betreibe, komplett verändert.

Und nun, mit der Zulassung der ersten CRISPR-Therapie in Grossbritannien, sei klar, dass diese Veränderung nicht aufs Labor beschränkt bleibe, sondern bei den Menschen ankomme. Das sei spektakulär, betont Corn. Denn diese Therapie sei das Gegenteil von oberflächlich: «Sie heilt in den Zellen der Patienten.»

Nobelpreis für Entdeckung von CRISPR

Box aufklappen Box zuklappen
Die beiden Frauen.
Legende: Die Erfinderinnen von CRISPR, Emmanuelle Charpentier (l) und Jennifer A. Doudna. Keystone

Die Genschere CRISPR wurde 2012 von zwei Forscherinnen entdeckt. 2020 erhielten die beiden Frauen dafür den Nobelpreis. CRISPR kann gezielt ins Erbgut eingreifen und rückt dadurch Therapien in den Bereich des Denkbaren, die bis anhin nicht denkbar waren. Dies betrifft etwa genetische Krankheiten wie Sichelzellanämie, Beta-Thalassämie und andere, von denen man noch vor 15 Jahren gedacht hatte, sie würden unheilbar bleiben.

Auch Gerald Schwank ist CRISPR-Forscher an der ETH in Zürich. Er selbst forscht an Therapien für bestimmte Leberkrankheiten. Die sind schwieriger zu therapieren als Krankheiten des Blutes: Bei der Therapie gegen Sichelzellanämie werden dem Körper des Patienten Blutstammzellen entnommen, mit CRISPR behandelt, und dem Patienten wieder zurückgegeben.

Das geht bei Leberkrankheiten nicht. «Da muss man die CRISPR-Cas-Werkzeuge in die Zellen des Patienten bringen, in die Leber», erklärt Schwank. Das sei zwar schwieriger, aber nicht unmöglich.

Vielfältige Anwendungen denkbar

Das Gleiche gilt für Krankheiten, die die Nerven oder das Gehirn betreffen – wie genetisch bedingte Epilepsien. Hier besteht die Hürde darin, herauszufinden, wie man mit dem CRISPR-Werkzeug in die Nervenzellen hineinkommt. Ebenso verhält es sich mit Muskel- oder Herzkrankheiten.

Es ist also kein Zufall, dass die erste zugelassene CRISPR-Therapie eine ist, die Blutzellen behandelt – weil die Zellen für die Behandlung mit CRISPR eben aus dem Körper geholt werden können, bevor sie dem Patienten wieder verabreicht werden.

Bis jetzt sind erst ein paar hundert Menschen auf der Welt mit CRISPR behandelt worden. Der horrende Preis von über zwei Millionen Franken pro Patientin oder Patient wird mit dafür sorgen, dass diese Zahl nicht sofort in die Höhe schnellt. Der hohe Preis wirft auch ethische Fragen auf: Wer bekommt die teure Therapie, wer nicht?

Trotzdem ist klar, dass weitere Therapien folgen werden – gegen genetisch bedingt sehr hohe Cholesterinwerte zum Beispiel oder gegen bestimmte Leberkrankheiten. Und mit etwas Verzögerung wird es wohl auch Therapien gegen genetisch bedingten Muskelschwund geben.

Eine neue Art Medizin hat begonnen.

Echo der Zeit, 17.11.2023, 18 Uhr

Meistgelesene Artikel