Nach massiven Angriffen zwischen Israel und dem Iran wächst die Angst vor einem Flächenbrand im Nahen Osten. Welches Ziel verfolgt Israel? Steht das iranische Regime vor dem Sturz oder droht eine nukleare Bedrohung? Und welche Rolle spielen die USA?
Unsere Expertenrunde mit Reinhard Schulze, Dana Landau und Roland Popp haben Ihre Fragen von 21:15 bis 22 Uhr live im Chat beantwortet.
Chat-Protokoll:
Sind die Israeli in diesem Fall «Die Guten», weil sie dazu beitragen, ein Verbrecherregime zu stürzen? Trauen sich die Leute im Iran nun gegen das Regime vorzugehen, oder sind die Repressionsapparate immer noch sehr stark?
Reinhard Schulze: Mit Gut und Böse kommen wir hier nicht weiter. Es geht um Recht und Unrecht, darum, dass ein Regime, das seine eigene Bevölkerung mit einem massiven Repressionsapparat bedroht, zugleich ein Bedrohungsszenario gegen Israel aufgebaut hat. Das Regime wird allein schon, um seine Machtstellung angesichts der Kriegsereignisse zu sichern, die Daumenschrauben, die es dem Volk angelegt hat, wohl eher anziehen.
Wie wahrscheinlich ist es das Pakistan mit einsteigen wird um Iran rücken deckung zu geben?
Roland Popp: Pakistan ist Atommacht und hat bereits Atomtests durchgeführt. Die Regierung hat sich auch solidarisch mit dem angegriffenen Iran erklärt. Ein Eingreifen ist aber sehr unwahrscheinlich, da Pakistans strategische Interessen vor allem gegen Indien gerichtet sind.
Könnte es im Falle dieses Krieges zu einer Art Stellvertreterkrieg wie im Kalten Krieg kommen? Insbesondere da es nun wahrscheinlich ist, dass die USA auf Seite Israel eingreifen wird? Welche Mächte kämen dazu noch in Frage?
Roland Popp: Russland hat zwar enge sicherheitspolitische Bande zu Teheran, allerdings auch traditionell enge Beziehungen zu Israel. Eine Art Stellvertreterkrieg halte ich für unwahrscheinlich.
Gemäss der Geheimdienstchefin der USA Tulsi Gabbard baut der Iran keine Atombombe. Wird hier gerade wie beim Irakkrieg mit Sadam Husseins Massenvernichtungswaffen eine Geschichte fabriziert, um wieder einen Angriffskrieg zu legitimieren?
Roland Popp: Die Parallelen sind in der Tat offenkundig. Die Behauptungen, Iran stünde kurz vor dem Überschreiten der nuklearen Schwelle, sind offenkundig ein Vorwand, um das Zuschlagen in einem strategisch günstigen Zustand zu rechtfertigen.
Wieso lässt die Internationale Community es durchgehen dass Israel so systematisch Völkerrecht bricht? sei es beim Völkerrechtswiedrigen Angriff auf den Iran oder den andauerden Genozid in Gaza.
Roland Popp: Die regelbasierte Welt ist eben Wunschdenken, am Ende ist die internationale Politik ein Selbsthilfesystem, in dem man sich nur auf sich selbst bzw. auf die treuesten Verbündeten verlassen kann.
Ich habe eine Frage zur konkreten Umsetzung der Angriffe: Um das jeweils andere Land mit Raketen oder Drohnen zu erreichen, müssen ja andere Länder (bspw. Jordanien) überquert werden. Wie geschieht das, ohne deren Luftraum zu verletzen? Und billigen das diese Staaten einfach so? Könnte ein Eingreifen dieser Staaten die Situation weiter eskalieren und ist dies wahrscheinlich?
Roland Popp: Ja, das verletzt den Luftraum, aber alle diese Staaten sind schwach und können im Grunde nichts anderes tun, als das hinzunehmen. Nur Jordanien hat sich aktiv am Abschuss iranischer Drohnen im letzten Jahr beteiligt.
Könnte Russland oder China auf der Seite des Irans in den Konflikt einsteigen?
Roland Popp: Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Russland ist anderweitig beschäftigt, China beteiligt sich bislang nicht direkt militärisch an Konflikten in anderen Weltregionen.
VölkerrechtlerInnen ordnen den Angriff von Israel auf Iran unisono als völkerrechtswidrig ein. Warum wird von westlichen Ländern der Angriff nicht verurteilt? Nimmt dadurch nicht auch die Glaubwürdigkeit der westlichen Staaten in Bezug auf ihre Haltung gegenüber dem Angriffskrieg von Russland Schaden?
Dana Landau: In der Tat leidet die Glaubwürdigkeit des Westens in den Augen der breiteren Weltgemeinschaft wegen der zögerlichen oder mangelnden Kritik an der israelischen Kriegsführung, sowohl in Gaza, als auch im Libanon und nun im Iran. Der Vorwurf von Doppelmoral des Westens ist zwar nicht neu, am Kontrast Ukraine-Krieg und Kriege in Nahost ist er jedoch besonders offensichtlich, auch weil diese beiden Schauplätze gerade so präsent in den Medien sind. Auch wenn die Kontexte nicht direkte Parallelen darstellen, in Bezug auf Einhaltung des humanitären Völkerrechts in der Kriegsführung ist der offizielle Diskurs klar ein anderer – und das schadet der Glaubwürdigkeit des «Westens» in anderen Teilen der Welt durchaus.
Seit Jahrzehnten heisst es immer wieder, der Iran habe in kürze eine Atombombe. Gibt es dieses Mal irgendwelche Beweise, dass der Iran an Atomwaffen gearbeitet hat bzw. kurz vor deren Vollendung war?
Roland Popp: Nein, im Grunde haben wir dieselben Vorwürfe wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten, aber keinen handfesten Beweis für einen solchen Versuch der Iraner. Die US-Geheimdienste haben vor kurzem bestätigt, dass es gegenwärtig keine Informationen gibt, die iranische Führung strebe Atomwaffen an.
Israel ist ja im Vergleich zum Iran wesentlich kleiner (Fläche, Einwohner). -> Hat Israel daher letztlich überhaupt eine Chance den Iran zu „besiegen“?
Dana Landau: Die Frage, was ein «Sieg» in diesem Krieg bedeuten könnte, ist für mich offen. Ausserdem ist Israel zwar kleiner bzgl. Fläche und Einwohnerzahl, es ist aber militärisch stark und zudem eine Atommacht. Falls das Ziel des Krieges ist, die Möglichkeit Irans, selbst Atomwaffen zu entwickeln, hinauszuzögern oder zu verkleinern, dann ist ein «Sieg» sicher möglich, ob das aber längerfristig Israels Sicherheit wirklich dienlich sein wird, da habe ich grosse Fragezeichen. Gerade weil so ein militärischer Schlag auch sehr grosse Risiken mit sich bringt, eine Eskalation evtl. nicht leicht einzudämmen ist, und es das Regime in Teheran auch in seinem Willen bestärken könnte, dass nur eine Atomwaffe es in Zukunft schützen kann.
Wie hoch erachten Sie die Möglichkeit, dass die USA wirklich aktiv in den Krieg einsteigt?
Roland Popp: Nach Trumps letzten Äusserungen ist ein amerikanischer Kriegseintritt in der Tat zu befürchten. Gegenwärtig können wir nur spekulieren.
Guten Abend. Meine Frage lautet: Warum legt Iran sein Atom Programm nicht offen? Darum hat ja Israel angegriffen.
Roland Popp: Tatsächlich ist ja das Atomprogramm so offengelegt, wie es nach internationalem Recht eigentlich geht. Die Atomanlagen wurden permanent von der Internationalen Atomenergiebehörde kontrolliert, das ist im Grunde die maximale Transparenz.
Das Regime im Iran wird ja wohl nicht fallen, wird die Unterstützung in der Bevölkerung aber zu oder abnehmen?
Reinhard Schulze: Na ja, die Zukunft ist offen, das betrifft auch die Frage, ob das Regime überdauern kann. Das Regime könnte nur überdauern, wenn es bei einem etwaigen Waffenstillstand die Repression massiv heraussetzen kann. Die Bevölkerung sieht sich mehrheitlich als Opfer eines vom Regime in Szene gesetzten Konflikts. Die Frage ist eher, die Katastrophenerfahrung in der Bevölkerung in offenen Aufruhr umschlagen könnte.
Wie hoch ist die Gefahr einer atomaren Eskalation?
Reinhard Schulze: Während Russland im Krieg gegen Ukraine mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen droht, sollten die russischen Sicherheitsinteressen substantiell bedroht sein, kann Iran eine solche Drohung nicht aussprechen, da das Regime bislang wohl noch über keine Atomwaffen verfügt. Wichtiger als Atomwaffen sind zurzeit die Raketen mit schweren Sprengköpfen. Hier könnte noch eine Eskalationsstufe erreicht werden. Vor dem israelischen Angriff hatte die iranische Armee massiv mit dem Arsenal grosser Raketenwaffen geprotzt, wohl im Glauben, damit eine Abschreckung zu erzielen.
Im Prinzip entspricht der israelische Angriff auf den Iran 1:1 dem Szenario zwischen Russland und der Ukraine. Interessanterweise habe ich bislang in keinem Medium den Begriff „israelischer Angriffskrieg“ gelesen. Woran liegt das? Das Argument mit den Atomwaffen zählt meines Erachtens nicht – schliesslich hat auch Russland der Ukraine Ähnliches vorgeworfen, nur eben im Zusammenhang mit angeblichen Biowaffenprogrammen.
Reinhard Schulze: Die beiden Kriege unterscheiden sich fundamental: Die Begründung des israelischen Angriffs richtet sich gegen eine reale Bedrohung, die vom iranischen Regime über langen Zeiten hinweg aufgebaut hat und die sich explizit auf Israel bezieht und die Auslöschung der Existenz Israels zum Ziel hat. Russland hat Ukraine angegriffen, weil es Ukraine die Unabhängigkeit abspricht und Ukraine in den Herrschaftsbereich Russlands integrieren will.