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Eskalation im Nahen Osten Welche Szenarien sind im Krieg zwischen Iran und Israel denkbar?

Die Angriffe zwischen dem Iran und Israel gehen weiter. Trotz internationaler Aufrufe zur Deeskalation ist kein Ende des Konflikts abzusehen. Doch wie geht es weiter? Drei Szenarien, die Fachpersonen für möglich halten.

1. Iran verhält sich wie die libanesische Hisbollah

Ein mögliches Szenario ist, dass die stark geschwächte iranische Führung zwar noch versucht, mit einigen Schlägen das Gesicht zu wahren, dann aber bald klein beigibt – vergleichbar mit der libanesischen Hisbollah, die vergangenen Winter nach heftigen Militärschlägen Israels rasch in eine Waffenruhe einwilligte.

«Dieses Szenario scheint Israel tatsächlich zu verfolgen», sagt Nahost-Korrespondent Thomas Gutersohn. Denn es seien Parallelen vorhanden: beispielsweise mit den breitgefächerten Luftangriffen auf Militärbasen und gezielten Angriffen auf Führungspersonal. «Israel nimmt auch zivile Opfer in Kauf, um diese Ziele zu erreichen.» Gutersohn zufolge hatte dies bei der Hisbollah funktioniert.

Das Problem: «Die Hisbollah und Iran sind unterschiedliche Akteure. Die Hisbollah war eine Miliz mit einem charismatischen Führer und losen Kommandostrukturen», erklärt der Korrespondent. Als Anführer Hassan Nasrallah getötet wurde, brach die Führungsstruktur zusammen. «Dies dürfte im Fall des Irans nicht einfach umzusetzen sein. Der Iran verfügt über eine Armee und Mechanismen, die einfacher Führungskräfte ersetzen kann.»

2. Westen erhöht den Druck auf den Iran

Ein weiteres Szenario ist, dass der Westen den Druck auf den Iran erhöht. Heisst: Israel könnte seine Angriffe ausweiten, während die USA auf diplomatischem Weg und mit weiteren Sanktionen den Druck auf Teheran erhöhen. Dies mit dem Ziel, dass der Iran an den Verhandlungstisch zurückkehren und sich auf ein Atomabkommen einlassen würden.

«Trump will einen Deal», so Gutersohn, «weil im Iran auch riesige Vorkommen an Erdöl und Erdgas lagern und viel Geld zu holen ist.» Doch zu welchen Bedingungen könnte ein Abkommen zustande kommen? «Für die USA steht ein militärisches Nuklearprogramm natürlich ausser Frage. Ein ziviles hätte vielleicht Chancen.» Der Iran wolle insbesondere die Urananreicherung bei sich behalten, meint Gutersohn. Aber: «Die USA wollen, dass der Iran nur bereits angereichertes Uran importieren kann.» Deshalb würde Washington Israel im Moment relativ viel Spielraum überlassen, um den Druck auf Iran zu erhöhen, um bei dieser Frage einzulenken.

Die Gefahr bei diesem Szenario: «Je länger der Krieg andauert, desto mehr dürfte sich der Iran nicht nur auf ein ziviles Atomprogramm stützen, sondern militärische Absichten verfolgen wollen», sagt Gutersohn. Auch, weil mit zunehmender Abnutzung Irans konventioneller Waffensysteme eine atomare Abschreckung quasi die einzig mögliche Strategie darstellen würde.

3. Die unkontrollierte Eskalation

Sollten die USA an der Seite Israels militärisch eingreifen und die mit dem Iran verbündeten schiitischen Milizen im Irak oder Jemen ebenfalls aktiv werden, würde ein regionaler Flächenbrand entstehen.

«Das wäre das schlimmst anzunehmende Szenario», hält Gutersohn fest. Auch für den Iran selbst wäre es das Schlechteste. Denn der Iran könnte keinen Krieg gegen Israel und die USA gewinnen. Das Regime würde laut Gutersohn fallen, wie man das in Libyen oder im Irak gesehen habe. «Das weiss die iranische Führung.» Zudem dürfte das Regime kaum Unterstützung aus der arabischen Welt erhalten. «Zumal bei einem Flächenbrand die arabischen Staaten mit sich selbst beschäftigt sein würden.»

Welches ist das wahrscheinlichste Szenario?

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«Fachpersonen sind sich einig, dass alle drei Szenarien mit grossen Risiken verbunden sind», sagt Nahost-Korrespondent Thomas Gutersohn. «Und dass eine unwillentliche Eskalation immer möglich ist.»

Der Flächenbrand scheine allerdings immer noch am unwahrscheinlichsten. Auch aufgrund der Tatsache, dass der Machterhalt für das iranische Regime oberste Priorität habe. «Schäden und Rückschläge am Atomprogramm, das kann das Regime hinnehmen, aber seinen eigenen im Land angeschlagenen Machtanspruch mit einem flächendeckenden Krieg aufs Spiel zu setzen, das wird die iranische Führung wohl kaum tun.»

Thomas Gutersohn

Nahost-Korrespondent

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Thomas Gutersohn lebt seit 2023 in Amman und berichtet für SRF aus dem Nahen Osten. Von 2016 bis 2022 war er als Südasien-Korrespondent tätig, zuvor hat er aus der Westschweiz berichtet. Gutersohn arbeitet seit 2008 bei SRF und hat in Genf Internationale Beziehungen studiert.

Echo der Zeit, 16.6.2025, 18 Uhr ; 

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