Was jemand sagt, sei nicht so wichtig, die Sprache auch nicht. Wie jemand spreche, das hingegen sage viel aus über die Gesundheit, sagt Lara Gervaise. Sie ist Ingenieurin und Gründerin des Lausanner Start-ups Virtuosis. Die neue KI analysiert Stimmen – mit dem Ziel, etwa ein Burnout-Risiko frühzeitig zu erkennen.
Hohe Trefferquote
Psychische Krankheiten haben einen Einfluss auf das zentrale Nervensystem, und das wiederum bestimmt laut Gervaise, wie man spricht: Tonalität, Sprechtempo, Redefluss. Aus solchen Informationen destilliere «Virtuosis» eine Gesundheitsanalyse.
Man finde verlässliche Hinweise auf psychische Leiden, Depressionen oder Burnouts, aber auch auf physische Krankheiten – Typ-2-Diabetes und Parkinson zum Beispiel. Die Trefferquote ihrer Software liege bei über 90 Prozent, sagt Gervaise. Bei Parkinson erreiche sie gar eine Genauigkeit von 95 Prozent, bei Depressionen 93 Prozent.
Dabei ist das Ziel nicht, die Psychiaterin oder den Psychologen zu ersetzen. Es geht um Früherkennung. Darum, früh und mit wenig Aufwand Hinweise zu geben, wenn eine Erkrankung vorliegt und jemand Hilfe suchen sollte.
Zusammenarbeit mit Microsoft Teams
Idealerweise findet eine Stimmanalyse nebenbei statt – bei Gesprächen, die man sowieso jeden Tag führt, etwa an Onlinesitzungen, wie Gervaise erklärt. «Virtuosis» arbeitet unter anderem mit Microsoft zusammen. So hat das Start-up ein Zusatzprogramm für Microsofts Teams-Software entwickelt, das die Stimme der Nutzer analysiert und einen Bericht ausspuckt, wie es um die psychische Gesundheit steht.
Diese Stimmanalyse wird anonym durchgeführt: Die KI zeichnet ausschliesslich die Stimme des Nutzers auf, und nur der Nutzer selbst sieht im Anschluss die Resultate.
Unternehmen bekommen derweil höchstens Analysen für ganze Standorte. Zum Beispiel, wenn es darum geht, eine ungewöhnliche Häufung von Krankheitsausfällen in einer Region zu erklären. Diese günstige und zugängliche Früherkennung soll Firmen helfen, die psychische Gesundheit ihrer Belegschaft zu verbessern. Und letztlich könne sie die Gesundheit in der Gesellschaft verbessern, glaubt Gervaise.
Grosses Interesse aus aller Welt
Das Interesse an «Virtuosis» ist gross. Das Lausanner Start-up arbeitet mit Universitäten im In- und Ausland, mit Versicherungen und Softwarekonzernen zusammen. Sogar Frankreichs Präsident Emmanuel Macron liess sich letztes Jahr von Gervaise in einem persönlichen Gespräch ihre Technologie erklären.
Der KI-Boom in den letzten Monaten gibt «Virtuosis» Rückenwind. Mit ihrem Team tüftelt die 26-jährige Gervaise zusätzlich an Programmen speziell für Seniorinnen und Senioren, für autistische Kinder oder für eine Erweiterung der Früherkennung anderer Krankheiten wie Krebs. Doch da ist auch die Konkurrenz – vor allem amerikanischer Start-ups. Es sei eine Art Rennen, wer die besten Talente engagieren, wer am schnellsten Kundenwünsche erfüllen könne, sagt Gervaise. Dabei die Schweizer Qualität beizubehalten, sei eine Herausforderung.