Eine neue Untersuchung an einer über 2000 Jahre alten Eis-Mumie unter der Leitung der Universität Bern hat gezeigt, dass Tätowieren bereits damals ein technisch anspruchsvolles Handwerk war – vergleichbar mit heutigen Methoden. Der leitende Archäologe Gino Caspari erklärt: «Wir haben eine sehr hochauflösende Dokumentation dieser wunderschönen Bilder gemacht. Das hat es ermöglicht herauszufinden, wie genau diese Tattoos eigentlich kreiert wurden.» Die Forschenden nutzten dafür hochmoderne Infrarot-Bildanalysetools, um verborgene Details sichtbar zu machen.
«Bei manchen dieser Mumien sind die Tätowierungen eigentlich nicht mehr von Auge zu sehen», sagt Caspari. «Über die Aufnahme von Bildern im Nahinfrarotbereich können wir diese Bilder wieder sichtbar machen. Und das in einem Detailgrad, der es uns erlaubt, den Herstellungsprozess detailliert nachzuvollziehen.»
Sibirischer Tierstil – Bedeutung unklar
Die untersuchten Tätowierungen gehören zur Pazyryk-Kultur und zeigen den sibirischen Tierstil. Caspari beschreibt: «Das sind häufig Kampfszenen. Bei dieser Mumie haben wir zum Beispiel am rechten Unterarm eine Szene, in der zwei Tiger und ein Leopard zwei Hirsche zur Strecke bringen.»
Obwohl die genaue Bedeutung dieser Darstellungen aufgrund fehlender Schriftquellen unklar bleibt, betont Caspari ihre kulturelle Wichtigkeit: «Was klar ist, ist, dass diese Bilder wirklich ganz stark in einen rituellen und kulturellen Kontext eingebettet wurden und in diesem Sinne auch eine reichhaltige Bedeutung hatten.»
Die Pazyryk-Kultur, zu der die untersuchte Mumie gehört, wird als Reitervolk beschrieben. «Man kann sich die ein bisschen als Vorgänger der Mongolen vorstellen», erklärt Caspari. Die aussergewöhnliche Erhaltung der Mumien und ihrer Tätowierungen ist dem Permafrost im Altai-Gebirge zu verdanken.
Grosses Interesse in der Tattoo-Szene
Die Forschungsergebnisse haben nicht nur in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sondern auch in der modernen Tattoo-Szene grosses Interesse geweckt. Sein Instagram-Account sei förmlich explodiert, sagt Caspari. «Seit die Medienmitteilung raus ist, sind wir wirklich auf ein überwältigendes Interesse aus der Tätowierer-Community gestossen. Das hat mich sehr gefreut, weil archäologische Forschung auch relevant sein soll für Leute ausserhalb des Elfenbeinturms.»
Besonders faszinierend für den Archäologen war die Möglichkeit, individuelle Lebensspuren aus der Eisenzeit so detailliert zu untersuchen. «Es ist natürlich faszinierend, wenn man im Detail nachvollziehen kann, wo die tätowierende Person abgesetzt und mit dem Werkzeug neue Tinte geholt hat, welche Methoden genau angewendet wurden.»
Ein überraschendes Ergebnis der Studie ist die Ähnlichkeit der damaligen Techniken mit den heutigen Methoden. Caspari: «Diese detaillierten Infrarotaufnahmen zeigen, dass es sich effektiv um Tätowierungen handelt, die sehr ähnlich zu dem sind, was man heute Hand-Poke nennt.» Bis anhin ging die Forschung gemäss Caspari davon aus, dass die damaligen Tattoos quasi genäht wurden, die Pigmente also auf einen Faden aufgebracht wurden.
Die Entdeckung schlägt also eine Brücke der Tätowiertechniken über die Jahrtausende.