Zahlen, nichts als Zahlen auf dem Bildschirm. Michael Köpfli, Co-Präsident der Grünliberalen im Kanton Bern und Mitarbeiter im nationalen Parteisekretariat, sitzt vor einer Excel-Tabelle und tüftelt an möglichen Listenverbindungen herum. «Für einen Menschen, der gerne Zahlen hat, ist das natürlich spannend, das ist klar.»
Köpfli hat gern Zahlen. Auf dem Bildschirm solche aus dem Kanton Bern: Hier bangen die Grünliberalen um ihren zweiten Nationalratssitz. Vor vier Jahren verbanden sie ihre Listen mit CVP und EVP. Doch was ist, wenn sich die Kräfteverhältnisse im Herbst verschieben? Wann wandert ein Sitz von den Grünliberalen zur CVP? «Das kann ich sehr gut am Computer machen», sagt er.
Minime Verschiebungen führen zu Sitzverlust oder -gewinn
Köpfli rechnet vor: Wenn die Grünliberalen in Bern auch diesmal mit CVP und EVP zusammenspannen, muss die CVP nur gerade 0,7 Prozentpunkte zulegen, «und schon ist der Sitz zur CVP gewandert». Die Grünliberalen hätten dann nur noch einen statt zwei Sitze. «So sieht man, dass auch innerhalb einer Listenverbindung ganz leichte Verschiebungen von weniger als einem Prozent dazu führen können, dass der Sitz für oder gegen einen verteilt wird.»
Die Parteistrategen müssen also spekulieren: Wie stark wird eine mögliche Partnerin? Starke Parteien sind schlechte Partner – sie machen die schwächere Partei zum blossen Stimmenlieferanten. «Das ist tatsächlich ein bisschen so, dass man auf dem Listenverbindungsmarkt attraktiver ist, wenn man schwach eingeschätzt wird als wenn man stark eingeschätzt wird.»
Konkurrenz auf dem Listenverbindungsmarkt schläft nicht
Parteien im Aufwind – zurzeit etwa die FDP – werden also unattraktiver. Dieser «Markt» hat seine eigenen Regeln. Die Grünliberalen waren bei den letzten Nationalratswahlen die «Könige der Listenverbindungen»: Die Hälfte ihrer Sitze verdanken sie Listenverbindungen. Die Konkurrenz sei inzwischen aber aufgewacht, sagt Daniel Bochsler, Politikwissenschaftler am Zentrum für Demokratie in Aarau. «Die Parteien gehen viel strategischer damit um. Sie beginnen zu rechnen. Sie schauen, welche die lukrativsten Listenverbindungen für sie sind. Und sie beginnen damit auch, den Grünliberalen das Erfolgsrezept abzuschauen.»
Die FDP etwa berechnet ihre Szenarien mit einer eigenen Software. Journalisten sollen die Software nicht zu sehen bekommen, entschied die Partei: Geheimsache! Transparenter geht es in der BDP-Parteizentrale zu und her. BDP-Wahlkampfleiter und Nationalrat Lorenz Hess rechnet wie die Grünliberalen mit einer Excel-Tabelle.
Bislang war die BDP zurückhaltend mit Listenverbindungen, um eigenständig da zu stehen. Doch das bescherte ihr letztes Jahr, zum Beispiel bei den Berner Kantonalwahlen, brutale Verluste. «Im Kanton Bern wären mit Listenverbindungen nur die Hälfte der Sitze verloren gegangen. Da wäre es stupid, sich nicht darüber Gedanken zu machen», sagt Hess.
BDP lehnt Listenverbindungen mit SVP und SP strikte ab
Für die Nationalratswahlen strebt seine Partei nun mehr Listenverbindungen an. Als Partnerinnen kommen für die BDP aber nur Mitte-Parteien in Frage. Niemals rechts die SVP. Und niemals links die SP. «Im Extremfall kann es sein, dass wir auf einen Sitz verzichten würden. Es ist nicht glaubwürdig, nur wegen der eventuellen Möglichkeit eines Sitzgewinns, die politische Linie allzu stark zu verlassen. Ich glaube einfach, das würden die Wählerinnen und Wähler nicht goutieren.»
Die BDP beschränkt sich also selbst – anders die Grünliberalen: Diese schliessen nur gerade die Klein-Parteien am äussersten linken und rechten Rand als Partner aus. «Mit Listenverbindungen gehen nie irgendwelche inhaltlichen Abmachungen einher», sagt Köpfli von der GLP. Er spricht von reinen Zweckbündnissen. «Nach einer Wahl werden wir uns hüten, jemals anders abzustimmen, nur weil man sagt, wir hatten einmal mit denen eine Listenverbindung. Das ist völlig ausgeschlossen.»
Dieses Jahr könnte die SP vermehrt zur Partnerin werden. Im Thurgau und in St. Gallen sind nämlich die anderen Mitte-Parteien den Grünliberalen zuvorgekommen: Sie haben Bündnisse geschmiedet, die die grünliberalen Nationalratssitze gefährden. Die Partei muss also neue Allianzen aushandeln – und ausrechnen.