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10 Jahre nach der Finanzkrise Bitteres Jubiläum – mit Lerneffekt?

Die Folgen der globalen Finanzkrise sind allgegenwärtig. Vor allem der Schuldenberg wächst und schafft neue Risiken. Ein Blick auf ein Jahrzehnt mit millliardenschweren staatlichen Bankenrettungen, Tiefzinspolitik und nicht zuletzt auf das Begräbnis des schweizerischen Bankgeheimnisses.

So kündigte sich das Unheil an

Am 9. August 2007 teilte die französische Grossbank BNP Paribas Liquiditätsprobleme bei drei ihrer US-Immobilien-Hedgefonds mit. Noch ahnte damals niemand, dass dies der erste Dominostein einer verheerenden globalen Kettenreaktion war, die das Bankensystem beinahe zum Erliegen brachte und Millionen Menschen den Job kostete.

Das Ende der 158 Jahre alten Investmentbank Lehman Brothers kam am 15.9.2008
Legende: Das Ende der 158 Jahre alten Investmentbank Lehman Brothers kam am 15.9.2008 Keystone/Archiv

Mit der weltweiten Panik kam der sonst rege Geldfluss auf dem Interbankenmarkt zum Erliegen, über den sich Banken normalerweise gegenseitig Geld ausleihen. Die Zentralbanken mussten Hunderte Milliarden ins Bankensystem pumpen. Auch die UBS wurde vom Staat gestützt.

Auf dem unvergessenen Höhepunkt ging am 15. September 2008 die US-Investmentbank Lehman Brothers bankrott. Damals wurde auch an der Wall Street klar, dass etwas richtig schief läuft. Bereits im März 2008 musste allerdings die etablierte Bank Bear Stearns an JP Morgan notverkauft werden. Und der spätere Nobelpreisträger Robert J. Shiller hatte schon 2006 vor grossen Problemen am US-Immobilienmarkt gewarnt.

Die wirtschaftlichen Folgen

Seit der Finanzkrise versuchen die Nationalbanken, die Weltwirtschaft mit einer lockeren Geldpolitik wieder in Schwung zu bringen. Die historisch tiefen Zinsen seien letztlich auch eine Folge der Finanzkrise, konstatiert Aymo Brunetti, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Bern: «Als die Finanzkrise auf die Realwirtschaft überschwappte, wurden die kurzfristigen Zinsen sehr stark gesenkt.» Bis heute sei kein Ausstieg aus dieser Tiefzinsphase gefunden worden.

Bis jetzt konnte der Ausstieg aus dieser Tiefzinsphase nicht gefunden werden.
Autor: Aymo Brunetti Professor für Wirtschaftspolitik, Universität Bern

Mit dem billigen Geld wächst der weltweite Schuldenberg in Rekordschritten. Er liegt heute in der sagenhaften Höhe von 217 Billionen Dollar, wie der Verband der internationalen Finanzindustrie berichtet. Ein Allzeithoch, das mehr als dem Dreifachen der weltweiten Wirtschaftsleistung entspricht.

Es gibt erste Alarmsignale, dass die Menschen – wie vor der Finanzkrise – über die eigenen Verhältnisse Geld ausgegeben. So etwa in den USA, wo die Ausfälle bei Kreditkarten zum fünften Mal in Folge auf aktuell drei Prozent gestiegen sind. Es ist ein Höchststand seit vier Jahren – trotz florierender Wirtschaft und Vollbeschäftigung. In England wiederum boomen die Autoverkäufe. Doch 80 Prozent aller Neuwagen kaufen die Leute auf Pump. Mit solchen Leasing-Krediten verschulden sich die privaten Haushalte massiv.

Auch Schweizer verschulden sich immer stärker

Seit 1990 ist in der Schweiz das Kreditvolumen deutlich stärker gestiegen als die Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandprodukt. Die Schulden privater Haushalte hierzulande sind zu 90 Prozent Hypotheken. Insgesamt beläuft sich der Hypothekenmarkt auf gegen eine Billion Franken. «Bei einem plötzlichen Anstieg kann es für viele Leute problematisch werden, die Schulden zu bedienen», so Brunetti.

Bei einem plötzlichen Zinsanstieg kann es für viele problematisch werden.
Autor: Aymo Brunetti Professor für Wirtschaftspolitik, Universität Bern

Die gesellschaftlichen und die politischen Folgen

Neben den tiefen Zinsen und dem billigen Geld hat das historische Ereignis auch tiefe Spuren in der Gesellschaft und der Politik hinterlassen. Auch in der Schweiz, wo die Finanzkrise das Bankgeheimnis zertrümmert habe, erinnert sich der renommierte Schweizer Polit-Philosoph Georg Kohler: «Die Staaten, die ihre Banken und ihr Finanzsystem retten mussten, brauchten das Geld der Steuerpflichtigen. Entsprechend hatten sie Angst, dass diese ihr Geld schwarz horten.»

Bundesrätin Widmer-Schlumpf und Brunetti stellten im Juni 2013 den Bericht zum Automatischen Informationsaustausch vor.
Legende: Bundesrätin Widmer-Schlumpf und Brunetti stellten im Juni 2013 den Bericht zum Automatischen Informationsaustausch vor. Keystone/Archiv

Deshalb war es laut Kohler klar, dass die Schweiz das Steuergeheimnis respektive das «Steuerhinterziehungsgeheimnis» nicht mehr länger durchsetzen konnte. Auch wenn Bern den Druck lange unterschätzte und der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz zu Beginn der Krise den Angreifern auf das Bankgeheimnis noch prognostizierte, sie würden sich daran die Zähne ausbeissen.

Zum Gesicht der Finanzkrise wird dann aber Eveline Widmer-Schlumpf. Als der Staat die UBS mit 60 Milliarden Franken retten muss, vertritt sie den erkrankten Merz. Unter ihr wurde das Bankgeheimnis beerdigt. Es ist für die Schweiz die augenfälligste Auswirkung der Finanzkrise.

Diese Konflikte haben die Menschen in Europa näher zusammengebracht.
Autor: Georg Kohler Philosoph, Publizist und emeritierter Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich

In Europa schrammte der Euro im Zuge der Finanzkrise diverse Male am Abgrund vorbei. In Südeuropa ächzen die Menschen unter der Sparpolitik und wehren sich vehement. Geldnehmer und Geldgeber beschuldigen sich gegenseitig aufs Gröbste. Viele Kritiker prophezeien, dass die Eurozone das nicht überstehen werde.

Georg Kohler.
Legende: Georg Kohler: «Die Krise war auch eine teilweise Bankrotterklärung des Neoliberalismus.» SRF

«Entweder sprengen solche Konflikte die Gesellschaft oder sie führen zur Erkenntnis, dass die Anderen zu uns gehören», sagt Kohler. Er kommt zum Schluss, dass die Krise die Menschen näher zusammengebracht hat. Dieser Prozess, sich überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, habe stattgefunden und finde immer noch statt.

Die Finanzkrise sei aber nicht nur der Bankrott ganzer Banken wie Lehman Brothers, sondern auch eine teilweise Bankrotterklärung des Neoliberalismus. Die jahrzehntelange Devise «Markt immer besser – Staat immer schlechter» sei der Erkenntnis gewichen, dass Markt und Staat sich bräuchten und das Gleichgewicht immer wieder ausgehandelt werden müsse.

Staat und Markt brauchen sich gegenseitig. Man kann nur hoffen, dass die Menschen etwas gelernt haben. Das mag sein.
Autor: Georg Kohler Philosoph, Publizist und emeritierter Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich

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