Zürich ist in den 1860er-Jahren in Aufruhr. Die sogenannte
«Demokratische Bewegung»
kämpft für mehr Mitspracherechte. Neben den Forderungen nach Referendums- und Initiativrecht, Abschaffung der Todesstrafe und Direktwahl des Regierungsrats fordert die Opposition auch sozial- und wirtschaftspolitische Reformen im Kanton. Zentrales Element davon: eine staatliche Kantonalbank.
«Die Bürger aus den Händen der Kapitalisten retten»
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Ein prominenter Vertreter der Gründung einer Kantonalbank war der Fabrikant und Grossrat Johann Jakob Keller aus Fischenthal. In der NZZ, die ihm nicht wohlgesinnt war, forderte er am 20. März 1869 in einem flammenden Plädoyer unter anderem eine Kantonalbank, «auch wenn diese nur 1000 Bürger aus den Händen der Kapitalisten rettet».
Keller war nicht der erste oder einzige Politiker, der die Idee einer Staatsbank vorbrachte. Auch die Idee war keineswegs neu. Aber Keller verfocht das Anliegen mit besonderer Entschlossenheit und machte es im ganzen Kanton populär, was ihm später den Übernamen «Bankvater» einbrachte.
Wirtschaftshistoriker und Archivar Matthias Wiesmann spricht von Kreditnot und zu hohen Zinsen, die im Kanton geherrscht haben: «Das Gewerbe und die Landwirtschaft kriegten kein Geld mehr, um zu investieren.» Stattdessen sei das Kapital in Eisenbahn- und Industrieaktien geflossen, die viel höhere Renditen versprachen. Eine staatliche Bank sollte den betroffenen Kreisen wieder Kredite vergeben; «zu vernünftigen Zinsen, die man bezahlen konnte.»
Schliesslich krempelt die «Demokratische Bewegung» in einer «friedlichen Revolution» den Kanton um. 1869 gibt es eine neue Kantonsverfassung und am 15. Februar 1870 erfolgt die Eröffnung der ersten Filiale der Kantonalbank. Seither gilt die Staatsgarantie. Das heisst, im Konkursfall würde der Kanton für die Bank gerade stehen.
Überall entstehen Kantonalbanken
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Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts führten eng miteinander verknüpfte politische und wirtschaftliche Faktoren zur Gründung der Kantonalbanken – in mehreren Wellen.
Eine erste Welle fand in den 1840er und 1850er Jahren in einigen Kantonen statt. Es handelte sich um Bank-Aktiengesellschaften mit Staatsbeteiligung, aber eben auch mit privatem Kapital. Damit versuchten sich die Liberalen, die nun die erste Macht im Staat verkörperten, von der Finanzaristokratie des Ancien Régime zu lösen.
Die zweite Gründungswelle dauerte von den 1860er bis zu den 1880er Jahre. Die neuen Gründungen, alles Staatsbanken, gingen auf die
«Demokratische Bewegung»
zurück und waren durch Verfassungsrevisionen und Volksabstimmungen legitimiert. Sie zeugen von einem neuen Staatsverständnis und sind als Reaktion auf das neue Handelsbürgertum zu verstehen. Vom selben Zeitraum an wurden die alten gemeinwirtschaftlichen Kantonalbanken umgewandelt oder durch neue Staatsbanken ersetzt - eine Folge des zu Tage getretenen Zielkonflikts zwischen den Interessen der auf Gewinnorientierung bedachten Privataktionäre und des Staates, der das Gemeinwohl im Auge hatte.
Die Zürcher Kantonalbank wächst in der Folge schnell. Sie etabliert sich als Universalbank in Zürich, dem aufstrebenden Finanzplatz der Schweiz und bleibt eine Bank, die sich hauptsächlich auf den Kanton orientiert. Diese Inland-Banken bleiben auch während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre sehr stabil, als Schweizer Grossbanken wegen ihren Auslandsengagements in die Krise geraten.
Und so gehört die Zürcher Bank in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu denjenigen Kantonalbanken, die besonders schnell wachsen. Sie liefert dem Kanton stets einen ansehnlichen Teil des Gewinns – der Kanton gibt der Bank wiederholt grössere unternehmerische Freiheit. Und so begibt sich die Kantonalbank auch ins Ausland, oder forciert gegen Ende des 20. Jahrhunderts das Handelsgeschäft.
Expansion und Krisen
Das sei, so Historiker Wiesmann, vor allem auch eine Erkenntnis aus der schweren Immobilienkrise der 1990er-Jahre. Die Bank habe realisiert, dass sie breiter aufgestellt sein müsse, sagt er. Die Expansion und das schnelle Wachstum sorgen jedoch auch für die grössten Erschütterungen ihrer Geschichte.
Zum Beispiel 2007, als die Bank im Geheimen einer Gruppe rund um den russischen Oligarchen Viktor Vekselberg hilft, einen grossen Teil des Sulzer-Konzernes zu übernehmen. Das sorgt für heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit, weil die Kantonalbank gleichzeitig auch die Hausbank des Winterthurer Traditionsunternehmens ist. Im Kantonsrat löst der Vorfall mehrere Vorstösse aus. Später kommt aus, dass der inzwischen zurückgetretene Konzernchef Hans Vögeli selber mit Sulzer-Optionen gehandelt haben soll.
Oder 2008, als die Kantonalbank steuerflüchtige UBS-Kunden aufnimmt und damit drei Jahre später ins Visier der US-Justiz gerät. Erst 2018 kommt es zur Einigung mit den US-Behörden und einer Zahlung von rund 100 Millionen Franken.
Die Bank und der Kanton
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Die Kantonalbank befindet sich seit 150 Jahren vollständig in der Hand des Kanton Zürichs und wird von dessen Parlament beaufsichtigt. Der Kantonsrat wählt die Mitglieder des Bankrats und des Bankpräsidiums. Bei gesetzlichen Änderungen haben die Zürcher Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das letzte Wort.
Über die letzten 150 Jahre wurde diese rechtliche Konstruktion verschiedentlich geprüft. Immer wieder gab es Vorstösse, die das Verhältnis neu regeln wollten – Teilprivatisierung, Privatisierung, Staatshaftung und andere Stichwörter symbolisieren diese Diskussionen. Doch wurde diese Konstruktion – trotz Krisen – während der gesamten 150 Jahre in verschiedenen Abstimmungen von der Mehrheit der Bevölkerung nie grundsätzlich in Frage gestellt.
Hundertfünfzig Jahre nach der Eröffnung der ersten Filiale ist die Kantonalbank – gemessen an der Bilanzsumme – zur viertgrössten Bank der Schweiz angewachsen. Wurde die Bank als Mittel gegen zu hohe Zinsen und Kreditnot gegründet, präsentiert sich die Situation heute grundverschieden. Die Zinsen sind so tief wie nie und angesichts der Liquiditätsschwemme ist die Kreditnot kaum ein breites Thema. So ändern sich die Zeiten.
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