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Anleihenkäufe der EZB Trügerische Sicherheit

Ab 2019 baut die EZB ihr Anleihenkauf-Programm nicht weiter aus. Eine Analyse dieser lockeren Geldpolitik.

Was hat die Europäische Zentralbank EZB gemacht? Im März 2015 startet die EZB mit einem gigantischen Kaufprogramm von Anleihen. Für eine Zentralbank ist das eine aussergewöhnliche Massnahme, denn ihre Hauptaufgabe ist es, die Preise über Steuerung des Leitszinses stabil zu halten und so die Inflation zu kontrollieren.

Die EZB hat von März 2015 bis Dezember 2018 insgesamt Anleihen im Wert von knapp 2600 Milliarden Euro gekauft, um damit den Markt mit billigem Geld zu fluten. Der Grossteil davon in Höhe von etwa 2100 Milliarden Euro sind Staatsanleihen.

Was sind Anleihen?

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Anders als Private leihen sich grosse Unternehmen und Staaten Geld nicht bei Banken, sondern am Kapitalmarkt. Sie tun das, indem sie eine Anleihe ausgeben, auch Obligation genannt.

Die Anleihe beispielsweise über eine Kreditsumme von 100 Millionen Franken wird – virtuell – in zahlreiche kleine Tranchen gesplittet, so dass die Kreditsumme von vielen Gläubigern gemeinsam aufgebracht werden kann. Auch Private können so Teile einer Anleihe über ihre Bank erwerben, also dem Unternehmen oder Staat für eine bestimmte Laufzeit und zu einem festgelegten Zins Geld leihen.

Die Höhe des Zinsen hängt von der Bonität des Kreditnehmers ab. Je schlechter die Bonität, desto höher ist das Risiko für den Gläubiger, dass dieser sein Geld nicht zurück erhält am Ende der Laufzeit. Entsprechend höher ist deshalb der Zins, den das Unternehmen oder ein Staat zahlen muss im Vergleich zu einem Kreditnehmer mit besserer Bonität.

Dank der Anleihenkäufe der EZB konnten auch Staaten und Unternehmen mit schlechterer Kreditwürdigkeit zu niedrigen Zinsen Geld aufnehmen.

Warum hat die EZB Anleihen gekauft? Der EZB ist es gelungen, dass Unternehmen investieren und Banken ihnen Kredite gaben. Wirtschaft und Konsum im Euroraum zogen in diesem Zeitraum an, die Preise stiegen wieder.

Für den Kreditspezialisten Christian Fischer von der Beratungsfirma Independent Credit View waren die Käufe vertrauensbildend: «Durch die Käufe hat die EZB nichts anderes gemacht, als Zeit zu kaufen. Zeit für Staaten, Unternehmen, Banken, um ihre Bilanzen zu bereinigen.» So konnten beispielsweise Banken Anleihen niedrigerer Bonität via Kapitalmarkt an die EZB verkaufen.

«Eurozone im Blindflug»

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Jürgen Stark, Ex-Chefökonom EZB
Legende: SRF

SRF News: Die EZB will ihre Anleihenkäufe nicht weiter ausbauen.

Das ist eine gute Nachricht, allerdings wäre es wünschenswert gewesen, die Europäische Zentralbank hätte die mengenmässige Lockerung der Geldpolitik viel früher beendet.

Immerhin wächst die Eurozone, die Inflation ist unter Kontrolle. Ein Erfolg!

Es mag einen positiven Beitrag zum Wirtschaftswachstum gegeben haben, der teuer erkauft ist: Der Zins ist einer der wichtigsten Preise in einer Volkswirtschaft. Er sendet Signale für Investitionen an private Haushalte und an Unternehmen. Und wenn er auf null gesetzt wird, dann ist das zu vergleichen mit einer Volkswirtschaft, die sich im Blindflug befindet.

Wie sehen Sie die Zukunft Italiens im Euroraum?

Italien hatte eine einmalige Chance und hätte der grosse Gewinner der Währungsunion sein können. Es ist von einem Hochzinsland in eine normalere Situation gekommen und hat von niedrigen Zinsen und niedriger Inflation profitiert. Aber Italien hat diese Vorteile nicht genutzt. Die Zinsersparnisse, die Italien trotz seiner hohen Verschuldung gehabt hat, sind nicht investiert worden. Sie sind nicht dazu genutzt worden, die Staatsverschuldung zu reduzieren, sondern wurden konsumiert. Insofern sind die vergangenen zwanzig Jahre für Italien verlorene Jahre gewesen.

Kann sich Italien im Euro erholen?

Wenn Italien weiter versucht, die Dinge gegenüber EU-Kommission und Partnerländern insgesamt und auch gegenüber der EZB auszureizen, dann werden die Finanzmärkte reagieren. Und die Refinanzierungskosten werden enorm ansteigen. Das wird hoffentlich mehr Disziplin in die italienische Fiskalpolitik bringen.

Italien und Frankreich machen mehr Schulden als erlaubt. Zudem steht 2019 der Brexit bevor. Kann die EZB überhaupt die Zinsen wie geplant anheben?

Die EZB muss sich leiten lassen von ihrem Kernmandat, Preisstabilität zu sichern. Sie muss an der Zinsschraube drehen, wenn die Inflation anzieht. Es geht nicht darum, Italien oder Frankreich einen Gefallen zu tun. Wir haben ja gesehen, wohin das führt: Dass Reformen verhindert oder verzögert werden.

Welche Folgen hatten die Anleihenkäufe noch? «Wir haben in den letzten vier Jahren festgestellt , dass durch die massiven Anleihenkäufe eine Verzerrung stattgefunden hat. Einerseits hat man das Zinsniveau künstlich tief gehalten und gleichzeitig mit diesen Käufen die Risikoprämien massiv reduziert», sagt Christian Fischer.

Das heisst: auch Staaten und Unternehmen mit schlechterer Kreditwürdigkeit konnten sich zu niedrigen Zinsen Geld beschaffen. Steigen die Zinsen wieder an, könnten solche Firmen in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Die Zahl der Unternehmenspleiten dürfte zunehmen.

Die derzeit tiefen Risikoprämien suggerieren somit eine falsche Sicherheit.

Haben die Anleihenkäufe geschadet? Ja, vor allem europäischen Banken. Diese konnten zwar Anleihen mit tieferer Kreditwürdigkeit verkaufen und damit auch Risiken (Zins- oder Tilgungsausfall) in ihren Bilanzen reduzieren. Doch die niedrigen Zinsen drücken langfristig auf ihre Margen.

Bei den grössten Banken Europas machen die Zinserträge rund zwei Drittel der Gesamterträge aus, sind also die wichtigste Einnahmequelle. Doch diese sinkt seit Jahren.

Gemäss Berechnungen des Beratungsunternehmens Independent Credit View lag 2010 die Zinsmarge bei 1,55 Prozent. 2017 betrug sie noch 1,27 Prozent – ein Rückgang um 18 Prozent. Europas Banken verdienen also mit ihrem wichtigsten Geschäft immer weniger Geld. Dabei geht es um Milliarden.

Was passiert jetzt, da die EZB ihr Programm nicht weiter ausbaut? «Wenn sich die EZB zurückzieht, aber auch wenn sich die Wirtschaft etwas abschwächen sollte, dann hat man Emittenten, die in Probleme kommen. Wir werden höhere Risikoprämien sehen. Die Volatilität wird zunehmen und letztlich werden wir mehr Ausfälle beobachten können», meint Christian Fischer.

Das heisst, Zinszahlungen fallen aus oder Anleihen werden gar nicht mehr zurückgezahlt.

Fazit: Die Anleihenkäufe der EZB haben die Zinsen auf ein Rekordtief gedrückt und die Wirtschaft angekurbelt. Gleichzeitig suggerieren die niedrigen Risikoprämien eine trügerische Sicherheit.

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