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Arbeitsmarkt nach Corona Berufserfahrung genügt nicht mehr

Der Kampf um Stellen wird härter. Weiterbildung zählt. Denkbar wäre, diese über eine vierte Säule zu finanzieren.

Die Schweiz wird dieses Jahr rund 17 Prozent mehr Arbeitslose haben als vor Corona. Die Schätzung des weltgrössten Personalvermittlers Adecco zeigt zweierlei:

Erstens, dass viele Jobs verloren gehen. Zweitens, dass es uns besser geht als allen anderen Ländern, denn: «Im Durchschnitt aller Länder sind wir bei 30 Prozent mehr Arbeitslosigkeit», sagt Adecco-Managerin Bettina Schaller.

17 Prozent mehr Arbeitslose – ein Teil davon in der Industrie. Der KMU-Verband Swissmechanic hat bei seinen Mitgliedern den aktuellen Stand erhoben:

  • 67 Prozent haben Kurzarbeit angemeldet.
  • 16 Prozent haben Angestellte entlassen.
  • 72 Prozent haben einen Einstellungsstopp.

Es wird weitere Branchen treffen. Andreas Rudolph weiss, was derzeit auf den Chefetagen vieler Konzerne diskutiert wird. Er leitet das Schweizer Geschäft des Personalberaters Lee Hecht Harrison. «Wir hören, dass es im dritten und vierten Quartal sicher zu Restrukturierungen kommen wird.»

Eine Mahnung an ältere Arbeitnehmer

Der Arbeitsmarkt werde nicht nur weniger Jobs haben, sondern auch andere Anforderungen. Wie verhandle ich in einer Videokonferenz? Wie führe ich ein Kundengespräch online?

Das müssten Arbeitnehmende wissen, sagt Rudolph. Oder lernen. Das sei vor allem Älteren nicht bewusst.

Neben ihm sitzt Corinne Hertzog. Sie musste vergangene Woche ihren Arbeitsplatz bei einem Chemie-Konzern räumen und sucht eine neue Stelle.

Sie hat in der Flugbranche gearbeitet, im Finanzwesen, in der Schmuckbranche. Aber Erfahrung alleine genüge nicht mehr.

Deshalb will sie eine Weiterbildung machen. Intuitiv wisse man zwar vieles, sagt sie. Aber besser sei es, die Technik zu beherrschen.

Idee: Hochschuldozenten in der Werkhalle

Ohne Weiterbildung wird es eng, meint auch Johnny Föhn, Betriebsleiter bei HME Maschinenbau in Einsiedeln. Wegen Corona seien die Bestellungen um 80 Prozent eingebrochen.

Trotz knapper Kasse sucht Föhn nach Möglichkeiten, seine Leute weiterzubilden. «Wir sind mit Vertretern von Hochschulen in Kontakt, die haben auch Überkapazitäten.»

Möglich seien Kurse in Spezialgebieten, um die Fachkompetenz zu fördern. Kurse in seinen Werkhallen.

Manchmal bist du innerhalb von drei Jahren schon weg vom Fenster.
Autor: Ronny Marty Polymechaniker, HME Einsiedeln

Neben Johnny Föhn steht Ronny Marty. Er hat erst vor drei Jahren die Lehre zum Polymechaniker abgeschlossen und bildet sich bereits zum Automatik-Fachmann weiter. Der Betrieb zahlt daran 10'000 Franken.

«Es ist motivierend, wenn man im Unternehmen etwas mithelfen kann, das man vorher nicht konnte», sagt Marty. Und erzählt, was er unbedingt verhindern will: «Manchmal bist du innerhalb von drei Jahren schon weg vom Fenster, weil sich die Technik so schnell entwickelt».

Eine vierte Säule für Weiterbildung

Doch der Schweizerische Verband für Weiterbildung warnt: Unternehmen investierten zu wenig in Weiterbildung – und würden wegen Corona geplante Ausgaben gar streichen.

Wer zahlt also, wenn sich Mitarbeitende mehr weiterbilden müssen? Bettina Schaller von Adecco schlägt eine vierte Säule vor. «Entweder wird sie über den Arbeitgeber finanziert wie in Frankreich. Oder, wie in Singapur, über einen jährlichen Beitrag des Staats». Denkbar sei auch, dass Arbeitnehmende miteinzahlen.

Corona macht den Kampf um Jobs härter. Und zwingt die Gesellschaft zu überdenken, wieviel ihr Weiterbildung für Arbeitnehmende wert ist.

ECO, 08.06.2020, 22.25 Uhr

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