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Bilanzskandal bei Wirecard «Das Vertrauen ins Unternehmen ist dahin»

Es sieht nach einem gigantischen Betrug aus, die deutsche Finanzaufsicht spricht von einem «totalen Desaster»: Der deutsche Bezahldienstleister Wirecard findet 1.9 Milliarden Euro nicht, die es eigentlich besitzen müsste. Die Aktie ist im freien Fall, am Vormittag verlor sie zeitweise um über 40 Prozent und war noch 13 Euro wert.

Klaus Ammann

Wirtschaftsredaktor

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Der Historiker und Russist ist seit 2004 als Redaktor bei Radio SRF tätig. Seit 2011 arbeitet Klaus Ammann für die Wirtschaftsredaktion. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf Energie- und Klimathemen.

SRF News: 1.9 Milliarden Euro sind nicht mehr auffindbar. Wie kann so viel Geld verschwinden?

Klaus Ammann: Dabei geht es um Geld aus dem Wirecard-Geschäft in Asien. Dort hat die Firma, anders als in Deutschland, keine Banklizenz und hat deshalb lokalen Anbietern die eigene Software gegen Lizenzgebühren zur Verfügung gestellt. Nun deutet vieles darauf hin, dass dort sogenannte Luftbuchungen gemacht wurden, also Geschäfte vorgegaukelt wurden, die gar nicht existierten. Weil dieses Geschäft mit Drittpartnern in den Zahlen von Wirecard aber einen bedeutenden Teil ausmacht, stimmen die Geschäftszahlen nicht mehr. Das Vertrauen ins Unternehmen ist dahin, der Aktienkurs in den letzten Tagen regelrecht abgestürzt.

Seit über einem Jahr gab es Warnungen. Die Zeitung «Financial Times» hat mehrere Male darauf hingewiesen, dass bei Wirecard etwas nicht stimmt. Es wurde aber nicht reagiert. Wer hat versagt?

Noch ist unklar, wer bei Wirecard selbst einfach weggeschaut und wer aktiv mitgemacht hat. Die interne Kontrolle von Wirecard hat lange nichts gemacht. Das Unternehmen hat die Vorwürfe immer wieder heftigst zurückgewiesen. Der Aktienkurs hat jeweils nachgegeben, aber sich dann wieder erholt. Die Revisionsstelle EY hat erst kürzlich nachgefragt auf den Philippinen, ob das Geld auf den angegebenen Banken überhaupt vorhanden sei. Worauf diese das verneinten und sagten, der entsprechende Beleg, den EY habe, sei eine plumpe Fälschung.

Auch die öffentlichen Kontrollen haben versagt.

Erst kürzlich hat der Verwaltungsrat von Wirecard eine zusätzliche Revisionsfirma, KPMG, beauftragt, solche Vorwürfe zu entkräften – was sie aber nicht konnte. Sie hat im Gegenteil grobe Mängel im internen Kontrollsystem festgestellt. Aber auch die öffentlichen Kontrollen haben versagt. Die deutsche Finanzmarktaufsicht ist lange nicht aktiv geworden. Heute räumte deren Präsident Fehler ein und sagte, es sei eine Schande, dass so etwas habe passieren können.

Wer hat den Verlust?

Das sind wohl in erster Linie die Aktionäre von Wirecard. Wirecard hat ein fulminantes Wachstum hinter sich. 2018 wurde es in den illustren DAX aufgenommen. Das hat viele Anleger angelockt. Damals hatte das Unternehmen einen Wert von 24 Milliarden, heute Abend ist er aber unter zwei Milliarden Euro gesunken. Das heisst, die Papiere der Aktionäre sind nichts mehr wert. Zu diesen Aktionären gehören im übrigen wahrscheinlich nicht wenige aus der Schweiz, dem Vernehmen nach halten auch Pensionskassen Wirecard-Aktien. Wie gross der Verlust tatsächlich ist, lässt sich jetzt noch nicht abschätzen.

Wie geht es jetzt weiter?

Der neue Chef, der seit Freitag das Ruder übernommen hat, verhandelt nun mit den Banken um die Verlängerung von Krediten. Das sieht gar nicht so schlecht aus. Die involvierten Banken wollten Wirecard nun stabilisieren, um einen noch grösseren Schock zu verhindern. Wirecard selbst will prüfen, wie das Geschäft fortgeführt werden kann. Vorläufig laufen IT-Systeme ohne Einschränkungen weiter. Allerdings muss Wirecard jetzt damit rechnen, dass die Kunden kein Vertrauen mehr haben und sich absetzen.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

Echo der Zeit vom 22.6.2020 ; 

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