Seit Monaten hoffen Banken, Pensionskassen und Sparer darauf, dass EZB-Chef Mario Draghi das Ende der Negativzinsen verkündet. Das hätte zur Folge, dass die Banken für das Geld, das sie bei der EZB hinterlegen, keine Strafe mehr zahlen müssen. Ihre Rentabilität würde steigen, Sparer erhielten wieder mehr Zins für ihr Geld. Das gleiche gilt für Pensionskassen.
Doch Draghi enttäuschte auch heute allfällige Hoffnungen: «Wir haben entschieden, den EZB-Leitzins unverändert beizubehalten.» Und man erwarte, dass er noch längere Zeit negativ bleibe, sagte er am Sitz der EZB in Frankfurt am Main. Der Grund dafür: Der Euro hat in den vergangenen Monaten plötzlich und unerwartet an Wert gewonnen. Die EZB ist jetzt in Sorge.
Exportwaren aus dem Euroraum könnten gegenüber Konkurrenzprodukten aus anderen Währungsräumen teurer werden. Das wiederum könnte die Nachfrage negativ beeinträchtigen. Das wäre ziemlich bitter, zeigt doch die Wirtschaft im Euroraum seit Jahresbeginn doch endlich nach oben. Sogar Krisenländer wie Italien rappeln sich auf.
Gefahr eines Investitionsstopps bei tiefer Teuerung...
Würde die EZB die Negativzinsen aufheben, könnten die Banken zwar wieder normale Zinsen für Erspartes bieten. Aber der Euro würde für Anleger wieder interessanter, was seinen Wert weiter in die Höhe treibt, was wiederum der Exportwirtschaft schaden könnte. Also bleiben die Negativzinsen vorerst, wie sie sind. Doch das ist nicht der einzige Grund für die unveränderte Geldpolitik der EZB: Sie muss auch dafür sorgen, dass die Teuerung bei zwei Prozent liegt.
Ist sie tiefer, besteht die Gefahr, dass Konsumenten und Firmen Investitionen zurückstellen – in der Hoffnung auf günstigere Preise. Und das wäre ziemlich gefährlich. Deshalb kauft die EZB seit März 2015 jeden Monat für Dutzende von Milliarden Euro Staatsschulden von Euroländern auf.
Auf diese Weise gerät billiges Geld in den Kreislauf. Das soll wie ein Schmiermittel für die Wirtschaft wirken und die Inflation ankurbeln.
... und Gefahr eines Erdbebens an den Aktienmärkten
Das Programm ist aber höchst umstritten. Es gilt als erwiesen, dass nur ein geringer Teil davon in der Realwirtschaft landet. Viel eher kaufen Anleger mit diesem billigen Geld Aktien auf. Die Forderung wird immer lauter, dass die EZB dieses Programm auslaufen lässt.
Doch das sei nicht so einfach, sagt Alfonso Laurenti, Volkswirtschaftsexperte bei der Bank Safra Sarasin: «Die EZB will das Risiko nicht eingehen, die Negativzinsen und das Aufkaufprogramm für Staatsanleihen gleichzeitig aufzuheben.» Dies würde zu einem Erdbeben an den Aktienmärkten führen und die Eurowirtschaft schwer treffen.
Es ist daher nachvollziehbar, dass sie vermutlich im Oktober erklären will, wie es mit dem Anleiheprogramm weitergeht, und erst später über die Negativzinsen entscheidet. Für Banken, Pensionskassen und Sparer heisst das: Sie müssen weiter rätseln, wie man mit dem Geld auf eine anständige Rendite kommt. Und die EZB muss schauen, wie sie die Anleger darauf vorbereitet, dass irgendwann Schluss ist mit dem billigen Geld. Dies muss sie möglichst schonend tun, damit diese nicht in Panik verfallen und einen Scherbenhaufen hinterlassen.