In seinem Büro zoomt sich Beat Tobler am Bildschirm direkt in den Schiffsstau am anderen Ende der Welt hinein. Tobler ist Chef der Seefracht bei Kühne und Nagel, einem der grössten Logistikunternehmen der Welt mit Standort in Basel.
Was der Manager auf der interaktiven Karte als «Streuselkuchen» bezeichnet, sind die vielen Containerschiffe, die im Hafen von Yantian bei Shenzhen in China seit Tagen und Wochen darauf warten, be- oder entladen zu werden. 84 Schiffe waren es nach letztem Stand.
Die Lösung des Problems sei noch nicht in Sicht, sagt Tobler. Mögliche Ausweichhäfen in China gebe es nicht. «Auch sie laufen bereits am Limit.»
Bedrohung für den gesamten Welthandel
Yantian ist der viertgrösste Containerhafen der Welt. Er liegt am Anfang der wichtigsten Handelsroute zwischen Asien und Europa. Normalerweise werden von hier Waren auf den Weg geschickt, die 36.000 Standardcontainer füllen - jeden Tag. Doch Ende Mai wurde der Hafen wegen neuer Corona-Fälle unter den Arbeitern für fast eine Woche geschlossen.
Inzwischen ist der Hafen zwar wieder geöffnet, aber er läuft noch lange nicht wieder auf vollen Touren. Jeden Tag stauen sich mehr Schiffe und Container. Und je grösser der Stau, desto bedrohlicher für die globalen Lieferketten und den Welthandel.
Schlimmer als die Suez-Blockade?
Handelsökonomen wie Reto Föllmi aus St. Gallen ziehen bereits Parallelen zur Krise im Suez-Kanal, der kürzlich wegen eines quer liegenden Frachtcontainers während Tagen für die Durchfahrt blockiert war.
Der Stau in Yantian könne eine noch grössere Krise verursachen als die Blockade des Suezkanals – je nachdem wie lange die Probleme noch anhielten.
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Die Blockade des Suezkanals im März – eine der wichtigsten Lebensadern des Welthandels – führte zu globalen Lieferengpässen, die noch immer spürbar sind, etwa bei Computerchips oder Fahrrädern.
Der gigantische Stau in Yantian könnte diese Lieferengpässe noch verschärfen und die gerade wieder auflebende Weltkonjunktur wieder abwürgen.
Es ist Nervosität spürbar
«Der Stau hat negative Effekte auch für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung», sagt denn auch der Kieler Ökonom Vincent Stamer. Er beobachtet die weltweiten Bewegungen von Containerschiffen.
An den steigenden Preisen spüre man die Nervosität. «Schon heute ist es deutlich teurer, einen Container von Ostasien nach Europa zu transportieren, als vor einem Jahr.»
Weihnachtsgeschäft betroffen?
Der Mega-Stau in Südchina kann auch der Schweiz nicht egal sein, so der St.Galler Ökonom Föllmi: «Je länger die Krise dauert, desto stärker werden die Auswirkungen in der Schweizer Produktion spürbar sein.»
Betroffen sein könnte hierzulande aber nicht nur die Produktion: In nicht allzu langer Zeit läuft das Weihnachtsgeschäft wieder an. Gut möglich, dass Konsumentinnen und Konsumenten dann auch in Europa und der Schweiz nicht alles in den Geschäften und unterm Baum finden, was sie sich wünschen.