Damit hatte kaum jemand gerechnet. Der Griff ins Einkaufsregal führte zu Beginn der Coronakrise ab und zu ins Leere. WC-Papier etwa war vorübergehend Mangelware. Während in manchen Wirtschaftszweigen die Lieferungen stockten und Engpässe entstanden, gab es aber stets genug Brot, Milch, Fleisch und andere Lebensmittel zu kaufen.
Kein Zufall sei das, sagt Ökonom Mathias Binswanger von der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten. Denn schliesslich komme ein grosser Teil der Nahrungsmittel aus Schweizer Produktion. Tatsächlich liegt der Selbstversorgungsgrad der Schweiz über alle Agrarerzeugnisse seit vielen Jahren bei rund 60 Prozent.
Die Agrarstatistik zeigt: Im landesweiten Durchschnitt stammt – vereinfacht gesagt – über die Hälfte aller Kalorien (59 Prozent) auf dem Teller von hiesigen Bauernhöfen und nicht aus dem Import.
Die eigene Landwirtschaft ist ein vernünftiger Luxus.
In Corona-Zeiten ist das ein Pluspunkt: «Bei Milch und Fleisch haben wir fast hundert Prozent Selbstversorgung», sagt Binswanger. «Dass wir eine eigene Landwirtschaft aufrechterhalten, ist sozusagen ein vernünftiger Luxus, den wir uns in der Schweiz leisten.»
Hoher Preis für Schutz der heimischen Bauern
Dieser «vernünftige Luxus», wie der Ökonomieprofessor es nennt, kostet die Steuerzahlerinnen und die Konsumenten allerdings viel Geld – unvernünftig viel Geld, monieren Kritiker. So gibt der Bund allein für die Direktzahlungen an die Landwirtschaft jährlich rund 2.8 Milliarden Franken aus. Politisch begründet werden diese Zahlungen an die Bäuerinnen und Bauern mit dem Nutzen der eigenen Agrarwirtschaft für die Allgemeinheit – vom Erhalt der Kulturlandschaft, der Biodiversität und der Förderung naturnaher Produktion – bis hin zur Versorgungssicherheit, die mit Corona nun wieder stärker ins Blickfeld gerückt ist.
Dazu kommt – als ein zweiter wichtiger Posten – der Grenzschutz: Die Abschottung durch Zölle auf Einfuhren bewirkt, dass die inländischen Produzenten auf dem Absatzmarkt konkurrenzfähig bleiben. Schweizer Brotgetreide, Milch, Butter, Rind- und Schweinefleisch werden im Laden deshalb nicht verdrängt von billigen Importen. Gleichzeitig macht der Grenzschutz allerdings die Lebensmittel für die Konsumentinnen und Konsumenten deutlich teurer. Dieser Effekt wird auf etwa 3 Milliarden Franken pro Jahr geschätzt.
Versorgungssicherheit nicht gleich Selbstversorgung
Ökonom Patrick Dümmler von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse kritisiert diesen kostspieligen Agrarschutz. Die Versorgungssicherheit sei auch günstiger zu haben, meint er: Statt weiterhin stark auf die Selbstversorgung mit inländischen Erzeugnissen zu setzen, solle die Schweiz mehr Essen importieren. «Auch in Krisen gibt es immer irgendwo auf der Welt Produkte zu beziehen», sagt Dümmler. Dazu gibt er ein Beispiel aus der Geschichte: Sogar 1944, während des Zweiten Weltkriegs, habe die Schweiz Lebensmittel aus Europa eingeführt.
Auch in Krisen gibt es immer irgendwo auf der Welt Produkte zu beziehen.
Ökonom Mathias Binswanger widerspricht: «In einer Krise denkt jedes Land zuerst an sich», gibt er zu bedenken. Die Schweiz habe nun aber das Glück gehabt, dass die Lebensmittelversorgung trotz Corona und Lockdown nicht zusammengebrochen sei.