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Damals verpönt, heute en vogue Hoch oben wohnen ist wieder schick

Lange Jahre waren Wohntürme verschmäht, ja Sinnbild von Anonymität und Werteverfall. Jetzt liegen sie wieder im Trend.

In Basel-Stadt werden besonders viele Wohnhochhäuser geplant und gebaut. Zum Beispiel in der Nähe der Langen Erlen wurden vor eineinhalb Jahren zwei Türme mit jeweils 19 Stockwerken fertiggestellt und bezogen. 137 Wohnungen, alle vermietet.

«Für uns ging es darum, eine grössere Wohnung zu haben, die aber bezahlbar ist – und das an guter Lage», sagt eine Bewohnerin, die gerade in den Kindergarten eilt, um den Jüngsten abzuholen.

Der allein wohnende Nachbar aus dem 14. Stock freut sich vor allem über die Aussicht: «Über meinen Balkon sehe ich auf Frankreich, Deutschland, Basel-Stadt und sogar auf Basel-Land. Ich sehe Sonnenuntergänge oder wie der Regen vorbeizieht.» Der alleinwohnende Mittzwanziger ist quasi der stereotype Hochhausbewohner von heute.

Die alten Häuser wirken klein und schmächtig gegenüber den Hochhäusern, die wie eine Staumauer aufragen und mit ihren gewaltigen Dimensionen und einer gewissen Monotonie etwas fast unmenschliches haben.
Autor: SRF-Reportage zum Lochergut Aus dem Jahr 1969

Das Bild des Hochhausbewohners hat sich gewandelt. In den 1960er- und 1970er-Jahren wurden schweizweit hunderte von Wohnhochhäusern hochgezogen. Wohnraum für Familien war das Ziel. Das Tscharnergut in Bern, Hardau und Lochergut in Zürich oder Telli in Aarau sind bekannte Überbauungen, die von Beginn weg kritisch beurteilt wurden.

Blick auf die Hochhäuser des Berner Tscharnerguts:
Legende: Blick auf die Hochhäuser des Berner Tscharnerguts: «Tscharnerguetler» zu sein galt einst geradezu als Schande, und am Klischee des Betonghettos leidet das «Tscharni» bis heute. Keystone

Der kritische Unterton ist auch in einer Reportage des Schweizer Fernsehens aus dem Jahr 1967 zu hören: «Das Lochergut ist mitten in einem Quartier aus der Jahrhundertwende. Die alten Häuser wirken klein und schmächtig gegenüber den Hochhäusern, die wie eine Staumauer aufragen und mit ihren gewaltigen Dimensionen und einer gewissen Monotonie etwas fast unmenschliches haben. So, dass man fast vergessen könnte, dass hier auch Kinder wohnen.»

Die Kinderunfreundlichkeit der Hochhäuser war ein oft diskutiertes Thema. Und auch die angebliche Anonymität der Wohntürme war ein oft gehörter Kritikpunkt: «Man kennt sich gegenseitig kaum, und schätzt diese Anonymität auch», so der Sprecher.

Die Betonbauten hatten einen schlechten Ruf. Migration und Kriminalität prägten das Bild, Vorurteile gegenüber den Mietskasernen noch für Jahrzehnte.

Hochhäuser wurden plötzlich als Symptome einer Wachstumkrise wahrgenommen, als Belege dafür, wie rasant und negativ sich die Schweiz in den 1950er- und 1960er-Jahren entwickelt hat.
Autor: Angelus Eisinger Städtebauhistoriker

Weshalb aber die fundamental kritische Einstellung noch in den 1960er- und 1970er-Jahren? Die markanten Bauten mussten als Sinnbild einer aus den Fugen geratenen Welt herhalten, sagt Städtebauhistoriker und Direktor der Regionalen Planung Zürich und Umgebung, Angelus Eisinger: «Plötzlich wurden Hochhäuser als Symptome einer Wachstumskrise wahrgenommen, als Belege dafür, wie rasant und negativ sich die Schweiz in den 1950er- und 1960er-Jahren entwickelt hat.»

All das sei an den Hochhäusern festgemacht worden – auch, weil sie wie kein anderes Objekt sichtbar seien. Umfragen zeigten zwar, dass die Bewohner der verpönten Betonbauten durchaus glücklich waren. Die grundlegenden Vorbehalte manifestierten sich aber zum Beispiel auch in einem temporären Bauverbot für Hochhäuser in Zürich.

Das Lochergut in Zürich:
Legende: Das Lochergut in Zürich: Auch hier rümpften Herr und Frau Schweizer erst einmal die Nase. Mittlerweile wird Wohnen in Hochhäusern immer beliebter – und manche Wohnung muss man sich erst einmal leisten können. Keystone

Heute wird aber nun wieder fleissig geplant und gebaut. Was hat sich geändert? Die Gesellschaft, sagt Städteplanungshistoriker Eisiger: «Die soziologische Zusammensetzung hat sich in den letzten zwanzig Jahren extrem verändert – gerade in den Städten.»

Die klassische Kleinfamilie sei immer weniger die Referenzgrösse: «Wir haben viele Einzelhaushalte und Haushalte mit berufstätigen Paaren ohne Kinder. Sie können sich nun auch solche Immobilien leisten.»

Modernes Leben über den Dächern der Stadt

Der Leiter Immobilienanalyse bei der Credit Suisse, Fredy Hasenmaile, bestätigt dies. Es seien vor allem Zweieinhalb- und Dreieinhalbzimmer-Wohnungen, die gebaut würden. Wohnungen, die oft von Einzelpersonen bewohnt werden. Singles, die zusätzliche Dienstleistungen suchen.

Das heisst, so Hasenmaile: «Die modernen Lebensformen führen dazu, dass man nicht mehr selber reinigen möchte, auch Einkaufen kann heute digital erledigt werden. In modernen Wohnhochhäusern gibt es heute Möglichkeiten, solche Dienstleistungen anzubieten.»

Das Hochhaus war in der Schweizer Debatte nie ein Verdichtungsinstrument, wie es in den USA immer der Fall war und ist.
Autor: Angelus Eisinger Städtebauhistoriker

Das Wohnen im 18. Stock in der Nähe der Langen Erlen in Basel darf dafür auch etwas kosten: 3600 Franken im Monat für eine 4.5 Zimmer im Wohnturm. Ein weiterer Grund, weshalb heute wieder mehr Hochhäuser gebaut werden, sei das Verschwinden der Industrie aus den urbanen Zentren.

Skylines wie in den USA wird es nicht geben

Auf den Industriebrachen hat es Platz gegeben. Denn, alle Experten betonen: Hochhäuser sind kein Ausdruck von verdichtetem Bauen. Sie waren es nie, sagt Historiker Eisinger: «Das Hochhaus war in dieser Debatte nie ein Verdichtungsinstrument, wie es in den USA immer der Fall war und ist. Es ging um die Möglichkeit, neue Qualitäten zu schaffen.»

Also viel Grün, viel Freiraum schaffen, indem das Wohnen auf einen Punkt – das Hochhaus – konzentriert wird. Skylines wie in den USA, dürfte es bei uns noch lange nicht geben. Denn lediglich Industriebrachen bieten die nötigen Flächen. Sind sie bebaut, dürfte der Bauboom bei den hohen Wohnblöcken dann auch bald wieder abflachen.

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