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«Degrowth» oder «Green Growth» Auf Wachstum verzichten, um den Planeten zu retten?

Unsere Lebensweise beruht auf einer Wirtschaft, die wächst. Das belastet die Umwelt. Nun liegt eine neue Studie auf dem Tisch.

Seit die Experten des Club of Rome 1972 den vielbeachteten Bericht zu den Grenzen des Wachstums publiziert haben, treibt die Frage Wissenschaft und Politik um: Kann die Wirtschaft wachsen, ohne dabei die Natur zu zerstören?

Ja, sagen die einen: Die Wirtschaft müsse nur grün ausgerichtet werden – «Green Growth», grünes Wachstum, sei möglich und gut. «Stimmt überhaupt nicht!», entgegnen die anderen, die Anhänger des sogenannten «Degrowth».

Beide Positionen sind nicht so sicher, als dass sie als alleinige Grundlage für umweltpolitisches Handeln dienen könnten.
Autor: Nils aus dem Moore Co-Autor der RWI-Studie

Sie sind überzeugt, dass Wirtschaftswachstum immer zu Umweltbelastung führt, dass eine Entkopplung dieser beiden Faktoren nicht möglich sei. Die zwei Positionen stehen sich seit Jahren unversöhnlich gegenüber.

Eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung RWI im Auftrag des deutschen Bundesumweltamtes hat nun beide Seiten kritisch geprüft. Sie kommt zum Schluss, dass beide auf wackeligen Beinen stehen. «Aus unserer Sicht sind beide Positionen nicht so sicher, als dass sie als alleinige Grundlage für umweltpolitisches Handeln dienen könnten», sagt Co-Autor Nils aus dem Moore.

Was nicht ist, kann noch werden

Dass die Entkoppelung theoretisch denkbar sei, sei zwar keine Frage: «In Bezug auf einzelne, lokale Ressourcenprobleme sehen wir auch, dass das klappt.» Global aber gebe es noch keine Beweise dafür. Andererseits könne man auch nicht mit Sicherheit sagen, dass das Gegenteil stimme, so aus dem Moore.

Nur weil bisher die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung nicht klappe, sei es nicht ausgeschlossen, dass sie noch gelinge. Die Frage der Entkoppelung lassen die Autoren der Studie deshalb bewusst offen. Das oberste Ziel müsse sein, die Wirtschaft umweltverträglich zu gestalten – egal ob mit oder ohne Wachstum.

Wir sind der Meinung, dass es nicht eine Frage ist von Wachstum ja oder nein, sondern eine Frage dessen, in welchen Grenzen und wo wir wachsen.
Autor: Christian Zeyer Geschäftsführer SwissCleantech

Um dieses Ziel zu erreichen, gebe es sowohl bei «Degrowth» als auch bei «Green Growth» vielversprechende Instrumente, meint aus dem Moore: «Wir sollten aus dem Green-Growth-Instrumentarium auf jeden Fall das Leitinstrument nutzen, nämlich externe Effekte wo immer möglich zu internalisieren.»

Macht weniger Konsum glücklicher?

Sprich: Wer der Umwelt schadet, muss dafür bezahlen – zum Beispiel mit CO2-Abgaben auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Solche Marktmechanismen reichen aber wohl nicht, glaubt Nils aus dem Moore. Es müssten auch Einstellungen und Weltbilder hinterfragt werden.

Da können Ansätze der Wachstumskritiker, der «Degrowth»-Anhänger, hilfreich sein. Diese sind zum Beispiel überzeugt, dass weniger Wirtschaftswachstum und weniger Konsum glücklicher machen würden. Relevant für diese Diskussion unter Wirtschaftswissenschaftlern ist, wie sie in der realen Wirtschaft ankommt.

Christian Zeyer, Geschäftsführer des Verbands SwissCleantech, befürwortet den Mittelweg, den die Autoren vorschlagen: «Wir sind der Meinung, dass es nicht eine Frage ist von Wachstum ja oder nein, sondern eine Frage dessen, in welchen Grenzen und wo wir wachsen.» Er ist überzeugt, dass künftiges Wachstum vor allem im Dienstleistungsbereich stattfindet, mit deutlich weniger Material und entsprechend weniger Umweltbelastung.

Man kann den ärmeren Bevölkerungen in anderen Ländern nicht vorschreiben, dass sie kein Wachstum haben dürfen.
Autor: Rudolf Minsch Chefökonom Economiesuisse

Rudolf Minsch, Chefökonom des Dachverbandes der Schweizer Wirtschaft, ist hingegen überzeugt, dass Wachstum nötig ist: «Sehr viele Länder haben einfach noch ein gewaltiges Bedürfnis nach einer Verbesserung des Wohlstands. Eine solche Verbesserung erzielt man nur mit Wachstum.»

Man könne den ärmeren Bevölkerungen in anderen Ländern nicht vorschreiben, dass sie kein Wachstum haben dürfen, so Minsch. «Es ist vielmehr eine Notwendigkeit, Wachstum in grünes Wachstum umzuleiten.»

Wachstum und Umweltbelastung können entkoppelt werden, glaubt Minsch. Bestes Beispiel dafür sei die Schweiz. Die Diskussion um Wachstum und seine Konsequenzen geht also weiter – trotz, ja: dank der neuen Studie.

Link zur Studie des Leibniz-Instituts

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