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Dresscode an der Wall Street Poloshirt und kurze Hose statt Anzug und Krawatte

Die Kleidervorschriften werden aufgeweicht. So sollen junge Talente angelockt werden.

Die Macht der Wall Street: Niemand verkörpert sie besser als der berüchtigte Börsenspekulant Gordon Gekko. Mit Zigarre im Mund und Nadelstreifen am Anzug steht der fiktive Investmentbanker für die New Yorker Börse der Achtzigerjahre.

Knapp 40 Jahre später ist davon allerdings nicht mehr viel übrig. Selbst der strenge Dresscode, der Banker jahrzehntelang zu Anzug und Krawatte zwang, weicht immer mehr auf. Nach JP Morgan darf nun auch die Belegschaft von Goldman Sachs in Poloshirt und kurzer Hose zur Arbeit kommen. Den New Yorkern gefällt die Entscheidung.

Zwei Männer an der Wall Street.
Legende: Der strenge Dresscode an der Wall Street weicht immer mehr auf. Keystone/Archiv

Die Finanzwelt folgt damit einem Trend, der bei Tech-Firmen im Silicon Valley längst keiner mehr ist. Schon in den Fünfzigerjahren begann dort eine Entwicklung, die vielen heute als «Casual Friday» bekannt ist. Von Montag bis Donnerstag galt in den Büros ein strenger Dresscode, am Freitag durfte es als Einstimmung ins Wochenende statt Hemd auch mal der Rollkragenpullover sein. Heute ist aus der wöchentlichen Ausnahme längst ein Standard geworden: Kapuzenpulli und Sneaker sind die Uniform der Westküste.

Kampf um junge Talente

Brad Jaeger arbeitet selbst bei einem Tech-Start-up und weiss, warum Goldman Sachs so scharf auf die neue Lässigkeit ist. «Goldman Sachs versucht auf das zu reagieren, was Morgan Stanley und JP Morgan tun», sagt er. JP Morgan sei inzwischen eher eine Tech-Firma, die immer mehr Entwickler einstelle und diese Leute würden keine Anzüge tragen. «Ihre Form des Investmentbankings ist einfach aufgeschlossener, proaktiver, lässiger – und das zieht eben auch Leute an, die bei Lyft oder Facebook arbeiten», sagt er weiter.

Mehr als 75 Prozent der Belegschaft ist jünger als 38 Jahre. 27’000 Menschen, die im Zweifel lieber Jeans und T-Shirt tragen statt Krawatte und Jackett. Im Kampf um junge Talente soll der neue Dresscode helfen, mit der Lässigkeit des Silicon Valley gleichzuziehen.

Anzug und Krawatte schaffen Gleichberechtigung für Minderheiten und Menschen aus anderen Ländern.
Autor: Heather Zumarraga Analystin Vision 4 Fund

Heather Zumarraga, Analystin beim Fondsanbieter Vision 4 Fund, hält das für eine absolute Fehlentscheidung. «Das ist eine schlechte Idee. Anzug und Krawatte schaffen vielmehr Gleichberechtigung für Minderheiten und Menschen aus anderen Ländern», sagt sie und erklärt weiter: «Ein Anzug ist wie eine Uniform, in der sich viele Leute wohler fühlen als in den ungeschriebenen Gesetzen lockerer Kleidung. Wenn Goldman Sachs also eine breitere Masse an Talenten anziehen will, dann sollten sie noch viel stärker auf Anzug und Krawatte setzen.»

Frauen wird vom lässigen Dresscode abgeraten

Die amerikanischen Herrenausstatter würde es freuen, wenn Goldman Sachs bei seiner Anzugpflicht bliebe. 2.6 Milliarden Dollar setzen sie jedes Jahr in Amerika um; die Verkaufszahlen aber brechen immer mehr ein. Der Aktienkurs von Tailored Brands etwa – einem der grössten US-Hersteller für Anzüge – hat sich seit Jahresanfang halbiert. Doch nur die wenigsten glauben, dass Goldman Sachs mit seinem neuen Dresscode jüngere Mitarbeiter anziehen kann.

Frauen wird vom lässigen Dresscode übrigens eher abgeraten. Legere Kleidung könnte sie unerfahrener und jünger wirken lassen, als sie wirklich sind. Stylisten empfehlen maximal eine Lederjacke zum schwarzen Kleid. Ein ernst gemeinter Kulturwandel sieht anders aus.

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