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Drohende Strommangellage Was tun, wenn der Strom aus Frankreich nicht mehr fliesst?

Bisher ist der französische Atomstrom stets geflossen. Doch so sicher erscheint das mit Blick auf den Winter nicht mehr.

Im Norden von Frankreich, fast an der Grenze zu Luxemburg, ragen vier Kühltürme in die Höhe. Es ist das Kernkraftwerk Cattenom von Electricité de France (EDF), der staatlich dominierten Elektrizitätsgesellschaft. Beim Bau der Anlage 1985 kauften sich die Schweizer Energiekonzerne Alpiq, Axpo und BKW ein und beziehen seither grosse Mengen Strom – für den Verbrauch von knapp 800'000 Haushalte pro Jahr.

Bisher immer geliefert

Die Schweizer Energiekonzerne versorgen sich aber auch seit 50 Jahren mit Strom aus dem AKW Bugey südlich von Genf. Und über einen weiteren Vertrag mit EDF sicherten sie sich zusätzlichen Strom aus Frankreich. EDF habe alle vertraglichen Verpflichtungen aus den Langfristverträgen seit 50 Jahren stets eingehalten, teilen die Konzerne mit.

Wird der Strom aus Frankreich aber noch fliessen, wenn er dort knapp wird? Die Antworten seien für die Schweiz entscheidend, sagt Michael Bhend, Leiter der Sektion Netze und Europa bei der Regulierungsbehörde Elcom: «Normalerweise importiert die Schweiz im Winter sehr viel Strom aus Frankreich. Es sind ungefähr zehn Terawattstunden und damit ungefähr ein Drittel des Landesverbrauchs im Winterhalbjahr.»

Einhaltung der Verträge erwartet

Auch die Konzerne wissen um die Brisanz dieser Fragen und nehmen nur schriftlich Stellung: «Wir gehen von der Einhaltung aller Verträge aus.» Gleich tönt es beim französischen Elektrizitätskonzern: «EDF hält sich an die vertraglichen Vereinbarungen.»

EDF hält sich an die vertraglichen Vereinbarungen.
Autor: Electricité de France (EDF),

Allerdings trauen die Schweizer Stromunternehmen den französischen Beteuerungen nicht vollumfänglich. «Wir befassen uns aber im Sinne des marktwirtschaftlichen Handelns präventiv durchaus mit Szenarien, die von einer Einschränkung der Liefermengen ausgehen.»

Elcom: Erfahrung nur bei befristeten Engpässen

Auch die Elcom hat keine Gewissheit, dass Frankreich in einer Notsituation noch liefern würde. Man habe zwar Erfahrungen bei Engpässen, sagt Bhend. Allerdings seien diese bisher zeitlich begrenzt gewesen: «Es fehlt uns die Erfahrung, was bei einer grösseren Mangellage tatsächlich passieren würde.»

Es fehlt uns die Erfahrung, was bei einer grösseren Mangellage tatsächlich passieren würde.
Autor: Michael Bhend Eidg. Elektrizitätskommission Elcom

Eine Situation, in der Frankreich selber zu wenig Strom hat, ist kein theoretisches Szenario, sondern bereits Realität. Momentan sind nämlich 30 von gut 50 Kernkraftwerken ausser Betrieb – wegen Korrosionsschäden und Wartungsarbeiten. Deshalb muss Frankreich derzeit sogar Strom importieren.

AKW in Frankreich.
Legende: Zurzeit ist in Frankreich weniger als die Hälfte der rund 50 Kernkraftwerke in Betrieb. Keystone/AP/Laurent Cipriani

Suche nach Alternativen unabdingbar

EDF verspricht zwar, dass bis im Winter die Mehrheit der AKW wieder am Netz sei. Bhend von Elcom macht ein Fragezeichen hinter diese Prognose: «Es hat sich historisch gezeigt, dass die tatsächliche Verfügbarkeit der Kernkraftwerke deutlich geringer ist als ursprünglich prognostiziert.»

Angesichts dieser unsicheren Ausgangslage sind die Schweizer Energiekonzerne daran, Alternativen zu französischem Strom zu prüfen. Ob das möglich ist im jetzigen Umfeld und vor allem zu welchem Preis, ist eine andere Frage.

Elcom: Lage in Frankreich entscheidend

«Ob es letztendlich reicht, hängt schon wesentlich von der Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke ab. Aber auch von der Schweizer Produktion, wo es momentan nicht so schlecht aussieht», sagte Bhend.» Dazu komme die Exportfähigkeit von Deutschland und Italien, die wiederum von der Gasverfügbarkeit in Europa insgesamt abhänge.

Ob es letztlich reicht, hängt wesentlich von der Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke ab.
Autor: Michael Bhend Eidg. Elektrizitätskommission Elcom, Sektion Netze und Europa

Verschieden Faktoren müssen also zusammenspielen, damit es im Winter in der Schweiz keine Stromunterbrüche gibt.

Echo der Zeit, 12.08.2022, 18:00 Uhr

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