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Ein Jahr nach Abstimmung Werbung für Online-Casinos nimmt zu – Suchtexperten alarmiert

Die aggressive Werbung der Online-Casinos stösst Suchtexperten zwar sauer auf, der Erfolg der Anbieter ist aber bescheiden.

Dieser 37-Jährige – nennen wir ihn «Herr X» – war Jahre lang spielsüchtig. Er verspielte mehrere 100'000 Franken in ausländischen Online-Casinos, bevor er die Sucht in den Griff bekam. Dann sah er Werbung für Schweizer Online-Casinos – und wurde fast rückfällig.

«Ich dachte: Komm, ich schau mal rein. Vielleicht ist es anders», erzählt er. Doch es war nicht anders: «Die Spiele sind drin. Die Musik ist drin. Geld kann man reinlassen. Und Knöpfe drücken auch.»

Seit einem Jahr gibt es Schweizer Online-Casinos. Mit ihnen kam auch die Werbung. Herkömmliche Casinos mussten wegen Corona schliessen – einige davon steckten dafür mehr Geld ins Marketing ihrer Online-Angebote.

50 Prozent mehr Werbung für Glücksspiele

Laut Mediafocus stieg die Glückspiel-Werbung im April 2020 um 50 Prozent verglichen mit Dezember, dem besten Monat 2019. Über 60 Prozent dieser Werbung war für Online-Casinos.

Suchtexperten sind alarmiert, so etwa Regine Rust von der Suchthilfe St. Gallen. Sie fragt sich, warum Alkohol und Online-Casinos unterschiedlich behandelt werden: «Ich denke, die Gründe, weshalb man bei Suchtmitteln auf Werbung verzichtet, sollten genauso für Online-Casinos gelten.»

Das Casino Interlaken, Betreiber der Online-Plattform Starvegas, schreibt dazu: «Dürften Schweizer Online-Casinos keine Werbung schalten, würden die Schweizer Spieler weiterhin auf die ausländischen Online-Spiele ausweichen, wo Beschränkungen zumeist fehlen.»

Geld in der Schweiz behalten

Das Geld in der Schweiz behalten und Teile des Gewinns für die AHV – das waren Argumente, warum die Stimmbevölkerung das neue Geldspielgesetz 2018 mit 72.9 Prozent angenommen hat.

Seither können nur herkömmliche Schweizer Casinos Online-Konzessionen beantragen. Im Juli 2019 startete das erste Schweizer Online-Casino. Weitere folgten.

Doch mangels Knowhow müssen sie mit ausländischen Firmen kooperieren, so dass immer noch Geld ins Ausland fliesst.

Etwa zu EvolutionGaming. Es liefert Schweizer Anbietern Live-Casino-Spiele aus Studios in Lettland, Malta, Georgien – also aus Ländern, die vor der Abstimmung 2018 als Negativbeispiele dienten, um die Abstimmung zu gewinnen.

Heute schreibt das Casino Baden, das die zwei Online-Angebote Jackpots und Casino777 betreibt: «EvolutionGaming selbst ist kein Casino-Betreiber, sondern ein Anbieter von Live-Casino-Spielen und damit ein «Lieferant» der Casinos.»

Ausserdem liege es in der Natur der Sache, dass auch in Schweizer Online-Casinos Black Jack oder Roulette und viele international gängige Arten von Slotmachines angeboten würden.

«Der signifikanteste Unterschied zu ausländischen Online-Casinos liegt darin, dass wir Jahr für Jahr Millionen von Schweizer Franken der AHV zukommen lassen.»

Allerdings ist dieses Ziel noch nicht wirklich erfolgreich umgesetzt: 2019 haben Schweizer Online-Casinos insgesamt 25 Millionen Franken Bruttospielertrag erwirtschaftet, also Einnahmen minus Gewinnausschüttungen. Im Abstimmungskampf hatte es noch geheissen, Schweizer Spieler würden 250 Millionen Franken in ausländischen Online-Casinos ausgeben.

Das Casino Baden schreibt dazu: «Es war klar, dass die legalen und konzessionierten Online-Casinos Zeit brauchen, um die illegal ins Ausland abfliessenden Spielerträge in der Schweiz zu erwirtschaften.»

Herr X. hat sich in Schweizer Online-Casinos sperren lassen. Immerhin das geht besser, als bei ausländischen Anbietern.

ECO, 22.06.2020

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