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Emotionale Debatte Füllt die Migros ihre Regale bald mit Bier und Schnaps?

Befürworter sagen, die Migros habe das Alkohol-Verbot längst aufgegeben – mit dem Denner-Kauf. Das lässt Gegner kalt.

Am Samstag wird entschieden. Dann stimmen die Delegierten des Migros-Genossenschaftsbundes darüber ab, ob die Migros künftig Alkohol verkaufen soll.

Gar keine gute Idee findet das Mario Bonorand. Er kennt die Migros bestens, war einst deren Finanzchef, er führte die Warenhauskette Globus, und er war Präsident von Denner. Alkohol im Migros-Regal? «Es wäre ein Widerspruch», sagt Bonorand. Zumal die Migros nach aussen immer wieder kommuniziere, wie wichtig die Gesundheit der Bevölkerung sei – und dies mit Fitnessangeboten und gesunder Ernährung im Regal unterstreiche.

«Migros würde Denner kannibalisieren»

Bonorand führt aber auch betriebswirtschaftliche Gründe an, die gegen Wein und Bier im Migros-Regal sprechen. «Man würde damit Denner, die eigene Tochter, kannibalisieren, da bin ich überzeugt.» Umso mehr, als die Denner-Läden oft in Migros-Immobilien eingemietet seien.

Andere Kritiker verweisen auf Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler: Würde die Migros Alkohol verkaufen, so wäre dies Verrat an Duttweiler.

Was es für Alkoholiker bedeutet

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Das Blaue Kreuz, das Alkoholabhängige im Kampf gegen ihre Sucht unterstützt, spricht von «verheerenden Risiken für Gefährdete», sollte die Migros künftig Alkohol verkaufen. Die beschränkte Verfügbarkeit verringere den Konsum und damit das Risiko, Alkohol ungesund oder gar schädlich zu konsumieren, schreibt die Organisation in einer Stellungnahme. Die positive Wirkung des von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler eingeführten Verkaufsverzichts sei offensichtlich. Und: «Die vielfältige Erfahrung des Blauen Kreuzes bestätigt, dass für Personen, die in Gefahr sind, übermässig Alkohol zu konsumieren, besonders wichtig ist, bei ihren täglichen Einkäufen nicht in Versuchung geführt zu werden.»

Schwaches Argument, findet Stefan Michel, Marketingprofessor am Institut für Managemententwicklung (IMD) in Lausanne. «Wer sich jetzt auf Gottlieb Duttweiler beruft, sollte morgen den Antrag stellen, das Alkoholverbot überall durchzusetzen, sprich: man müsste sich von Denner trennen und auch über andere Migros-Kanäle, etwa Online oder im Migrolino, keinen Alkohol mehr verkaufen.»

Vielleicht gibt es Wein und Bier nur in gewissen Regionen

Selbst wenn sich eine Mehrheit der Delegierten des Migros-Genossenschaftsbundes am Samstag für den Verkauf von Alkohol ausspricht, dauert es noch über ein Jahr, bis es in ersten Filialen so weit wäre.

In einem nächsten Schritt müsste sich auch eine Mehrheit der Verwaltungen und Genossenschaftsräte der zehn regionalen Migros-Genossenschaften für die Neuerung aussprechen.

Und jene Genossenschaften, die sich für eine Statutenänderung ausgesprochen haben, müssen dann noch eine Urabstimmung durchführen.

Effektiv in die Regale käme Alkohol frühestens 2023 – und nur in den Filialen jener regionalen Genossenschaften, deren Mitglieder sich mit einer Mehrheit von zwei Dritteln für die Aufhebung des Alkoholverkaufs-Verbots ausgesprochen haben. Es wäre also möglich, dass Filialen der Genossenschaft Luzern künftig Wein verkaufen, jene der Genossenschaft Ostschweiz jedoch nicht.

Tagesschau, 5.11.2021, 19:30 Uhr

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