Immer mehr Angestellte und Arbeiter in der Schweiz sind keinem Gesamtarbeitsvertrag mehr unterstellt, sondern erhalten von ihrer Firma nur noch einen Einzelarbeitsvertrag. Vor über 10 Jahren hatten erst 40 Prozent einen Einzelarbeitsvertrag, heute sind es bereits 65 Prozent der Angestellten.
In diesem Fall verhandeln Vorgesetzte und Arbeitnehmende direkt die Vertragsbedingungen aus. Aber, so Arno Kerst, Präsident der Gewerkschaft Syna: «Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Die GAV-Lohnabschlüsse sind über dem Lohnindex. Sie sind besser.»
GAV-Löhne stiegen stärker
Kerst stützt sich dabei auf die Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Diese zeigen: GAV-Löhne sind in den vergangenen zehn Jahren stärker gestiegen als das gesamte Lohngefüge.
Legt man die Kurven der GAV-Lohnabschlüsse und der Entwicklung der Löhne insgesamt übereinander, sieht man, dass die GAV-Löhne seit 2008 um etwa 11 Prozent gestiegen sind, die Löhne insgesamt aber nur um 9 Prozent.
Fredy Greuter, Medienverantwortlicher beim Arbeitgeberverband bezweifelt diese Zahlen nicht. Er schränkt aber ein: «Das allein auf die Sozialpartnerschaft und die GAV-Verhandlungen zurückzuführen, scheint mir etwas zu kurz gegriffen.»
Für Greuter sind die höheren Löhne im GAV-Bereich auch Ausdruck davon, dass es diesen Branchen besser gegangen ist als den anderen. Zum Beispiel der Pharmabranche.
GAV-Lohnabschlüsse als «Schrittmacher»
Kerst von der Gewerkschaft Syna widerspricht nicht. Allgemein stelle er aber fest, dass dort, wo die Gewerkschaften als Verhandlungspartner mit am Tisch sässen, die Löhne und Sozialleistungen besser seien. Der Grund liege auf der Hand: «GAV-Lohnabschlüsse sind auch Schrittmacher», sagt Kerst.
Das heisst, wenn die Gewerkschaften einen besseren Lohnabschluss mit einer Firma verkünden, so zögen häufig andere Unternehmen aus der gleichen Branche nach.
Allerdings: Weil sich immer mehr Arbeitnehmende mit einem Einzelarbeitsvertrag anstellen lassen, beispielsweise in der IT-Branche oder im Dienstleistungssektor, flacht sich die Kurve ab.
In den vergangenen vier Jahren sind die GAV-Löhne kaum mehr stärker gestiegen als jene bei den Einzelarbeitsverträgen. Das wachsende Gewicht der Einzelarbeitsverträge drückt also die GAV-Löhne nach unten. Das ist ein Grund.
Ein weiterer ist die Aufhebung des Frankenmindestkurses gegenüber dem Euro durch die Nationalbank. Dieser Entscheid hat die Wirtschaft derart stark getroffen, dass die Löhne auch deshalb in weiten Teilen der Exportbranche wenig gestiegen sind, egal ob nun Gewerkschaften am Verhandlungstisch sassen oder nicht.