Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Erbschaft und Erwerbstätigkeit Viele Erben reduzieren ihr Pensum oder gehen in Frühpension

Wer erbt, tritt im Job kürzer. Eine Analyse von Steuerdaten zeigt das Phänomen für die Schweiz erstmals in Zahlen. Dabei wird deutlich: Erbschaften verschärfen indirekt den Fachkräftemangel.

Wer erbt, kann es sich eher leisten, das Pensum zu reduzieren oder die Erwerbstätigkeit gleich ganz aufzugeben. Eine neue Studie weist den Zusammenhang erstmals statistisch nach: Frauen, die von einer Erbschaft profitieren, treten demnach schon vor 40 kürzer, bei Männern sieht man das erst später. Frühpensionierungen steigen bei beiden Geschlechtern ab 55 Jahren. Deutlich wird das, wenn man die Veränderung der Erwerbseinkommen nach Alter betrachtet.

So geht das Erwerbseinkommen signifikant zurück, wenn jemand erbt. Am deutlichsten zeigt sich das bei den 55- bis 64-Jährigen; bei dem Lebensabschnitt, in welchem auch ein Grossteil der Erbschaften anfällt. Weil die meisten Leute im Alter zwischen 55 und 64 Jahren erben, führt das «Geschenk des Himmels» oft in die Frühpension.

Individueller Geldsegen mit gesellschaftlichen Folgen

Wenn Menschen im Job kürzertreten, weil sie geerbt haben, fehlen sie dem Arbeitsmarkt. Erben verringert dadurch die Wirtschaftsleistung des Landes insgesamt. Die Leute würden mehr und länger arbeiten, wenn sie nicht erben würden – schlicht, weil viele aus finanziellen Gründen müssten. Im ökonomischen Jargon: Das aggregierte Arbeitsangebot wäre ohne Erbschaften grösser. Die Studienautoren und -autorinnen schätzen, dass Erbschaften die hiesige Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandprodukt BIP (dieses Jahr etwa 860 Milliarden Franken) um 1.7 Prozent verringern.

Ältere Frau schaut auf den vierwaldstättersee
Legende: Erbschaft sei Dank: Aus dem Job aussteigen und Zeit haben für anderes wird für viele ab 55 zur Alternative. Keystone/CHRISTOF SCHUERPF

Fazit: Würden sämtliche Erbschaften und Schenkungen wegfallen – dieses Jahr dürften es 100 Milliarden Franken sein –, wäre die Wirtschaftsleistung der Schweiz grösser. In dieser Sichtweise «kosten» Erbschaften die Gesellschaft gemäss Studie dieses Jahr rund 15 Milliarden Franken.

Erbschaften verschärfen Arbeitskräftemangel

Was im Einzelfall jedem und jeder zu gönnen ist, ist vom ökonomischen, auf Effizienz ausgerichteten Standpunkt aus nicht optimal und hat Nebeneffekte. Angesichts einer alternden Gesellschaft und zunehmendem Fachkräftemangel – könnte man argumentieren – sollten die Anreize so gesetzt sein, dass die Menschen möglichst lange erwerbstätig sind und in möglichst hohen Pensen.

Studie: Wie Erbschaften das Arbeitsverhalten beeinflussen

Box aufklappen Box zuklappen

Ein Team der Uni Lausanne und der ETH Zürich um Marius Brülhart und Isabel Martínez hat für den Zeitraum 2002–2019 anonymisierte Steuerdaten aus dem Kanton Bern ausgewertet. Die Forscherinnen und Forscher können mit komplexen statistischen Verfahren zeigen, wie sich die Erwerbseinkommen verändern, wenn jemand eine Erbschaft erhält oder nicht. Bei zwei nach Alter, Einkommen und Vermögen vergleichbaren Personen lässt sich der Erbende mit grösserer Wahrscheinlichkeit frühpensionieren als die Person, die nicht erbt.

Die ganze Studie können Sie hier nachlesen.

Liesse man die Leute nicht erben – etwa durch hohe Besteuerung –, würde man sie sozusagen zwingen, mehr und länger zu arbeiten. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang davon, die Arbeitsanreize zu erhöhen. Allerdings – und das betont auch Ökonom und Studienleiter Marius Brülhart – ist dies eine auf die gesamtgesellschaftliche Wirtschaftsleistung anhand des BIP fokussierte Betrachtungsweise.

Mehr BIP heisst nicht unbedingt mehr Lebensqualität

Solche statistisch-gesamtwirtschaftlichen Betrachtungen blenden oft aus, dass viele Leute es schätzen, mehr Freizeit zu haben – oder dass sie die Prioritäten im Leben anders als bei der Erwerbsarbeit setzen. Sich dies leisten zu können, werten Ökonominnen und Ökonomen ebenfalls als ein Zeichen von Wohlstand im Sinn von Lebensqualität. Wollte man dies ändern, bräuchte es massive Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen. Eine Massnahme, die es gesellschaftlich und politisch schwer haben dürfte.

Rendez-vous, 7.10.25, 12:30 Uhr;liea

Meistgelesene Artikel