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Erholung in Sicht Temporärangestellte läuten Trendwende in der Wirtschaft ein

Erstmals seit Pandemieausbruch wächst die Temporärbranche. Ein gutes Zeichen für die Konjunktur, wie frühere Krisen zeigen.

Die Erholung der Schweizer Wirtschaft dürfte sich nach dem coronabedingten Einbruch weiter fortsetzen. Denn ist die Temporärbranche im Aufwind, zieht in der Regel auch die Konjunktur an. Und die Vorzeichen stehen gut. Mit einer Zunahme von 24.5 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode sind die geleisteten Arbeitsstunden von Temporärangestellten im zweiten Quartal dieses Jahres erstmals seit Pandemieausbruch wieder gestiegen. Das zeigen Zahlen von Swissstaffing, dem Verband der Schweizer Personalvermittler.

Weil die Temporärbranche auf ein sehr niedriges Niveau gesunken ist, ist der Aufschwung umso stärker.
Autor: George Sheldon Arbeitsmarkt-Experte Universität Basel

Laut Arbeitsmarkt-Experte George Sheldon von der Universität Basel eine erfreuliche Entwicklung. Jedoch spielt hier auch ein Basis-Effekt mit, relativiert er: «Die Temporärarbeitenden haben einen starken Einbruch erlitten. Weil die Branche auf ein sehr niedriges Niveau gesunken ist, ist der Aufschwung umso stärker.»

«Last in, first out»

Dass Temporäre auf konjunkturelle Schwankungen reagieren, ist typisch. «Sie haben eine Springerqualität und gleichen konjunkturelle Schwankungen aus. Man sagt 'Last in, first out' – sie sind die Letzten, die angestellt werden und die Ersten, die entlassen werden», sagt Sheldon.

Diese Puffer-Funktion und ein zyklisches Auf und Ab widerspiegeln sich auch im aktuellen Konjunkturverlauf: Als 2017 und 2018 die Wirtschaft im Aufschwung war, wurden mehr Leute befristet angestellt. Während der Hochkonjunktur-Phase 2018 sank deren Beschäftigungsquote um 4.5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal, da Temporär-Verträge in Festanstellungen übergingen. Deutlich stärker, um 14.5 Prozent, brach die Branche allerdings im Pandemiejahr 2020 ein. Allein das erste Halbjahr 2021 zeigt nun wieder eine Zunahme der geleisteten Einsatzstunden von Temporärangestellten von 11.7 Prozent und signalisiert damit eine Erholung der Wirtschaft.

Dynamik verhindert strukturell hohe Arbeitslosenquote

Andere Krisen zeigen denselben Zyklus. Speziell bei der aktuellen sei aber der V-Verlauf, also der scharfe Einbruch und die steile Erholung, so der Arbeitsmarkt-Experte. Die Finanzkrise etwa erholte sich wesentlich langsamer. «Viele hatten Schulden angehäuft, die nur langsam abgebaut werden konnten. Jetzt gibt es einen Produktionseinbruch. Wenn die Menschen krank sind, kann nicht produziert werden. Sind sie wieder gesund und die Nachfrage kommt wieder, geht es schnell wieder bergauf.»

Wäre die Schweizer Wirtschaft nicht so dynamisch, könnte es zu einer anhaltenden hohen Arbeitslosigkeit kommen.
Autor: George Sheldon Arbeitsmarkt-Experte Universität Basel

Diese rasche Anpassung spricht für die Robustheit des hiesigen Arbeitsmarkts. «Wäre die Schweizer Wirtschaft nicht so dynamisch, könnte es zu einer anhaltenden hohen Arbeitslosigkeit kommen», sagt George Sheldon. Danach sehe es derzeit nicht aus. Der Ökonom erwartet, dass die Arbeitslosenquote in den nächsten fünf bis sechs Monaten auf 2.5 Prozent fällt – was dem Schweizer Durchschnitt bei ausgeglichener Konjunktur entspräche. Derzeit liegt sie bei 2.8 Prozent.

Auch wenn der weitere Pandemieverlauf ungewiss ist, die Erfahrungen aus der Vergangenheit dürften bei weiteren Wellen erneute, heftige Einbrüche bei befristeten Angestellten verhindern. «Ich gehe davon aus, dass es Schwankungen gibt, die zunehmend abnehmen in ihrer Stärke.»

Tagesschau, 27.07.2021, 19.30 Uhr ; 

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