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Fairtrade-Zertifizierungen «Die Prämien reichen nicht, um Bauern aus der Armut zu holen»

Fairtrade- und UTZ-Produkte sollen Kleinbauernfamilien ein besseres Leben ermöglichen. «Kassensturz» reiste in die Elfenbeinküste und deckt auf: Vielen Kakao-Bauern, die von den Labels profitieren sollten, geht es wirtschaftlich kaum besser als Bauern ohne Zertifikate.

Was läuft schief? SRF sprach mit Label-Spezialist Friedel Hütz-Adams.

Friedel Hütz-Adams

Friedel Hütz-Adams

Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Südwind

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Friedel Hütz-Adams arbeitet seit 1993 bei Südwind, einer entwicklungspolitischen Nichtregierungs-Organisation, die sich für eine nachhaltige Entwicklung, Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen weltweit einsetzt.

SRF: Immer mehr Schokolade-Produkte sind mit Nachhaltigkeitslabels zertifiziert wie etwa UTZ oder Fairtrade, Max Havelaar. Was hat sich verändert, seit es zertifizierten Kakao gibt?

Friedel Hütz-Adams: Ein wichtiger Schritt ist der Anspruch der Zertifizierung, dass sie Transparenz in die Wertschöpfungskette bringt. Noch vor zehn Jahren sagten die Konzerne, dass sie nicht dafür verantwortlich seien, wie es den Bauern geht. Sie verwiesen auf ihre Zwischenhändler. Die Zertifizierung trägt dazu bei, die Verantwortung deutlich zu machen, welche die Unternehmen haben. Doch die Prämien, die ausbezahlt werden, reichen nicht, um Bauern aus der Armut zu holen. Die ganzen zusätzlichen Hoffnungen, die damit verbunden waren etwa die Produktivität massiv zu steigern und damit das Einkommen der Bauern zu erhöhen, das ist – wenn überhaupt – sehr begrenzt eingetreten.

Es waren viele Hoffnungen mit den Zertifizierungen verbunden. Wurden diese erfüllt?

Es ging ursprünglich darum, schlimmste Armut zu verhindern und Kinderarbeit wirksam zu reduzieren. Davon hat sich vieles nicht erfüllt. Doch das liegt unter anderem daran, dass die Zertifizierung nur ein Werkzeug ist, um eine Wertschöpfungskette transparent zu machen. Es sind nicht die nötigen Mittel vorhanden, um die Wertschöpfungsketten massiv zu verändern oder Preise deutlich anzuheben.

Wie viel verdienen die Bauern denn tatsächlich mehr für Fairtrade-zertifizierten Kakao?

Bei Fairtrade gibt es eine feste Prämie von 200 Dollar pro Tonne. Diese Prämie wird nur für den Kakao ausbezahlt, den eine Kooperative tatsächlich mit Label verkaufen kann. In den letzten Jahren war es häufig so, dass nur ein Drittel der zertifizierten Menge tatsächlich so verkauft wurde. Damit kam für eine durchschnittliche Kooperative auch nur ein Drittel der 200 Dollar an. Damit mussten laufende Kosten für die Zertifizierung und die Buchhaltung bezahlt werden, die verbessert werden musste, um die Zertifikationsbedingung zu erfüllen. Mit dem Geld werden oft noch Gemeinschaftsprojekte finanziert, für den Bauern bleibt damit oft nur eine marginale Summe.

Wie viel nimmt der Bauer mehr ein über die Prämien der Labels UTZ oder Rainforest Alliance?

Bei UTZ und Rainforest Alliance werden die Prämien zwischen Kooperativen und Unternehmen frei verhandelt. Die Kooperativen bekommen im Durchschnitt eine niedrigere Prämie als bei Fairtrade, dafür wird aber vor allem bei UTZ auch mehr abgesetzt. Daher ist der Aufschlag letztendlich sehr ähnlich wie bei Fairtrade, aber in beiden Fällen sehr gering.

Nachhaltigkeitssiegel werben mit einer «grossen Wirkung». Wird dieses Versprechen eingehalten?

UTZ zum Beispiel hat den Ansatz, dass es nicht nur um Prämien oder einen Mindestpreis geht, sondern um Fortbildungsprogramme. Die Bauern sollen zu besseren Geschäftsleuten werden, die Produktivität steigern, stärker diversifizieren. Das ist angesichts der momentan niedrigen Kakaopreise weitestgehend gescheitert. Die Einkommen der Bauern in der Elfenbeinküste sind deutlich gesunken. Der Mindestpreis ab Hof wurde anfangs 2017 um 35 Prozent gesenkt, jetzt wieder leicht erhöht. In den Jahren davor haben Bauern auch ohne Prämien deutlich mehr verdient als jetzt. Diese Lücken konnten weder Fairtrade noch UTZ schliessen.

Die Kooperativen sind häufig schwach, die Strukturen unklar. Man weiss nicht genau, wie viel hat der Kooperativen-Chef bekommen, wieviel fliesst woanders hin.

Herrscht für die Bauern Transparenz darüber, wie viel sie erhalten?

In der Elfenbeinküste ist alles sehr undurchsichtig. Die Kooperativen sind häufig schwach, die Strukturen unklar. Man weiss nicht genau, wie viel hat der Kooperativen-Chef bekommen, wieviel fliesst woanders hin. Damit kann man oft auch nicht kontrollieren, wieviel der Chef weitergegeben hat. Das ist für die Mitglieder der Kooperativen ein grosses Problem.

Das Label UTZ zertifizierte 2017 in Ghana und der Elfenbeinküste eine Million Tonnen Kakao. Sind da durchgehende Kontrollen überhaupt möglich?

Grundsätzlich hat jede Zertifikation Lücken. Sie können nicht jeden Bauern kontrollieren, das würde immense Kosten generieren. Man kann immer nur Stichproben machen. Bei einer funktionierenden Kooperative werden Verstösse sanktioniert. Wenn das aber nicht gemacht wird, ist es schwierig. UTZ ist sehr schnell gewachsen. Eine Million Tonnen in Westafrika heisst, fast eine Million Bauern in entlegenen Gebieten. Sie alle zu kontrollieren ist weder sinnvoll noch machbar.

Die Unternehmen müssen handeln. Es gibt aber auch eine Staatsverantwortung in Westafrika.

Wer trägt die Schuld daran, dass Bauern trotz Labels arm bleiben?

Es gibt Regeln für Unternehmen, UN-Leitprinzipien für Wirtschaft- und Menschenrechte. Diese besagen, dass Unternehmen nicht von Menschenrechtsverletzungen profitieren dürfen. Wenn es aber im Kakaosektor Strukturen gibt, in denen die Preise so niedrig sind, dass viele Bauern sich während eines Teils der Nachsaison nur eine Mahlzeit pro Tag leisten können – und dazu gibt es Studien – die eigentlich unterernährt sind, ihre Kinder nicht zur Schule schicken können, da gibt es Menschenrechtsverletzungen in der Kette.

Da müssen die Unternehmen handeln. Es gibt aber auch eine Staatsverantwortung in Westafrika. Auch der Staat könnte einiges verbessern, die Infrastruktur, mehr Schulen, Sozialprogramme.

Fairtrade kündigt an, ab Oktober den Mindestpreis pro Tonne Kakao auf 2400 US-Dollar sowie die Prämie zu erhöhen. Was hilft das den Bauern?

Der Fairtrade-Mindestpreis lag mehrere Jahre bei 2000 Dollar pro Tonne. Während mehrerer Jahre lag der Weltmarktpreis jedoch bei 3000 Dollar – und es ging den Bauern schlecht. So gesehen bringen 400 Dollar mehr pro Tonne dem Bauern nicht viel. Zudem ist dies nicht der Preis, den der Bauer bekommt, sondern der Exportpreis. Da werden Transportkosten, Steuern etc. abgezogen. Fairtrade hat selber ausgerechnet, dass selbst nach der Erhöhung des Mindestpreises auf 2400 Dollar noch eine grosse Lücke besteht zu dem, was man in der Elfenbeinküste für ein existenzsicherndes Einkommen braucht.

Was bräuchten die Bauern, dass ein Zertifikat wirklich funktioniert?

Mit einem höheren Preis könnten die Bauern Investitionen in die Verjüngung der Plantagen, in Arbeitskräfte, bessere Pestizide und Dünger machen. Ich habe aus Unternehmen gehört, dass wir dafür einen Preis von 3000 Dollar pro Tonne für den Bauern brauchen. Das ist massiv mehr, als das, was im Moment bezahlt wird.

Was braucht es, dass sich für die Bauern etwas verändert?

Es braucht Transparenz in der Kette, langfristige Beziehungen zwischen Kooperativen, Kakao-Verarbeitern und Schokoladeproduzenten. Es muss eine langfristige Verantwortung dafür da sein, dass vernünftige Preise bezahlt werden, um Kinderarbeit zu eliminieren, Armut zu verhindern und Ernährungsgrundlagen zu sichern. Das ist ein Umkrempeln von dem, was wir viele Jahre hatten, als Produzenten Kakao immer da kauften, wo er am billigsten war.

Das Gespräch führte Marianne Kägi.

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