SRF: Wodurch unterscheiden sich inländische von ausländischen Touristen?
Christian Laesser: Sie nutzen die Angebote der touristischen und Freizeitangebote in diesem Land aktiver als weitgereiste ausländische Gäste. Das heisst, sie treiben Sport, nehmen an Events teil und so weiter.
Heisst das, der inländische Gast ist auch anspruchsvoller?
Er hat andere Ansprüche. Er nutzt das Angebot in einer ähnlichen Art und Weise, wie er auch das Freizeitangebot an seinem Wohnort nutzt. Der internationale Gast macht vor allem Sightseeing – so wie wir das in Übersee machen. Wir wandern vielleicht nicht unbedingt im Grand Canyon, sondern wir schauen ihn an und reisen weiter.
Welche Unterschiede gibt es im Buchungsverhalten?
Schweiz-Reisen sind primär Zweit-, Dritt- oder auch Viertreisen, selten also Erstreisen. Die grossen Ferien macht man vermutlich nicht in der Schweiz. Und weil wir in der Schweiz nicht weit reisen müssen, kann man Entscheidungen auch kurzfristig fällen. Das machen Schweizer generell: Bei etwa einem Drittel aller Reisen ist der Entscheidungsraum zwischen Entscheidung und Abreise kürzer als eine Woche. Und bei Schweizer Zielen akzentuiert sich das noch. Es wird teilweise sehr impulsiv entschieden: Es ist ein schönes Wochenende, machen wir etwas – und weg ist man.
Wie gehen die Anbieter darauf ein?
Wenn ich die Branche beobachte, kommt es mir oft vor, als ob die Schweizer Veranstalter den Schweizern Ferien anbieten, als würde man sich lang überlegen, wohin man in seiner Freizeit verreist. Es ist wie ein Bauchladen: ‹Das habe ich im Angebot. Nimm dir das, was dir passt, aus dem Angebot heraus.› Die Anbieter überlegen sich nicht: Was habe ich für Bedürfnisse da draussen, die ich mit meinem Angebot am Ende des Tages befriedigen möchte?
Was heisst das konkret?
Wir haben in diesem Land Zehntausende Scheidungskinder. Diese armen Kinder müssen – wenn sie überhaupt in die Ferien gehen können – immer zuerst mit dem einen und dann mit dem anderen Elternteil in die Ferien. Wie wäre es, wenn die Kinder stationär in den Ferien blieben und die Elternteile jeweils zu getrennten Zeiten kämen? Oder: Wir haben Hunderttausende Expats in dem Land, die noch relativ weit weg sind vom Schweizer Lifestyle. Weshalb nicht im Winter ein Lifestyle-Angebot bauen, indem man ihnen beispielsweise erste Bewegungen auf den Skiern beibringt, gepaart damit, dass sie jassen lernen? Das wird teilweise heute schon gemacht.
Wenn ich nicht fähig bin, eine Story zu entwickeln, habe ich auch kein Angebot.
Wie sollten Touristiker vorgehen?
Wenn sie zum Beispiel ein Wochenendangebot machen, sollten sie sich fragen: Was ist die Geschichte, die Leute zuhause auf den sozialen Medien erzählen werden, wenn sie heimgehen? Und wenn ich nicht fähig bin, eine Story zu entwickeln, die die Gäste erzählen können, habe ich auch kein Angebot. Dann habe ich einfach eine Ressource, die ich anbiete.
Was fürs Stories könnten das sein?
Achten Sie mal darauf, wenn Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen fragen, wovon sie zuerst erzählen. Oft ist es der Flug. Natürlich erzähle ich nur vom Flug, wenn es für mich ein ausserordentliches Erlebnis ist. Dann werden kleine Ereignisse schnell zu Räubergeschichten. Es müssen Dinge sein, die eher selten passieren, die auch im eigenen Leben herausragen. Dann erinnere ich mich an sie. Über routinierte Sachen erzählen Sie selten etwas. Und auch Ferien sind eine gewisse Routine.
Erzähle ich eher von einem Flug als von einem Wochenende im Hotel?
Vom Wellness-Hotel erzähle ich durchaus auch, wenn ich das nicht routiniert mache oder wenn dort etwas aussergewöhnlich ist. Wir haben nur das Problem, dass viele dieser Sachen austauschbar sind. Und indem man das Geschäft mehr in Geschichten andenkt, wirkt man der Austauschbarkeit entgegen.
Das Interview führte Manuela Siegert.