Bislang wurden über ein Drittel weniger Uhren exportiert als letztes Jahr. Das weckt in den sogenannten «Villes Horlogères» – den Uhrenstädten im Jura – Erinnerungen an frühere Krisen.
Im Vallée de Joux im Waadtländer Jura zum Beispiel. Dort sind unter anderem Jaeger LeCoultre, Audemars Piguet und Breguet zu Hause. Laut Stives Morand, Gemeindepräsident von Le Chenit, leben 7000 Leute im Tal, 8000 Arbeitsplätze gibt es, der grösste Teil davon in der Uhrenindustrie. Fast zwei Drittel der Gemeindeeinnahmen von Le Chenit stammen aus dieser Branche.
Das Vallée de Joux profitiert also von der Uhrenindustrie – gleichzeitig ist sie von ihr abhängig. Und das kann gefährlich werden. Während der grossen Uhrenkrise in den 1970er-Jahren, als die Schweizer Uhrenindustrie von asiatischen Quarzuhren bedrängt wurde, zogen 2000 Einwohner aus dem Tal weg.
Bis heute ist die Einwohnerzahl tiefer geblieben als vor dieser Krise, obwohl sich die Uhrenindustrie erholt hat. Deshalb wird auch im Vallée de Joux versucht, sich wirtschaftlich breiter aufzustellen. Das sei aber schwierig, sagt Morand: «Wir wollen diversifizieren, aber das scheitert immer wieder und die Produktion geht weg. Wir haben nur ein paar Stellen hier und da, das kann man nicht mit der Uhrenindustrie vergleichen.»
Die Historikerin Laurence Marti hat mehrere Bücher über die Uhrenindustrie verfasst. Dass im Vallée de Joux wenig diversifiziert worden sei, hänge mit dem Erfolg der Branche zusammen, sagt sie. Man bemühe sich: «Aber wenn die Uhrenindustrie boomt, werden wieder alle Ateliers gebraucht.»
Mit 10'000 Einwohnern und 5000 Arbeitsplätzen in der Uhrenindustrie ist auch Le Locle eine typische «Ville Horlogère». Sie verlor einen Drittel der Einwohner in der Uhrenkrise.
Hier ist man etwas weiter als im Vallée de Joux, was andere Industriezweige wie etwa die Medizinaltechnik oder den Tourismus angeht. Angst vor einem Wegzug der Uhrenbranche hat Denis de la Reussille, der Président des Neuenburger Städtchens, nicht. «Swiss Made» bleibe wichtig.
Aber dass nun viele Marken ausländischen Gruppen gehörten, verändere das Zusammenleben mit der Uhrenindustrie: «Sie spenden weniger für den hiesigen Hockeyclub oder das regionale Theater, nehmen weniger am Lokalleben teil», kritisiert er.
Weiter ins nächste Tal, das im Takt der Uhrenindustrie lebt: das Vallon de St-Imier im Berner Jura. Es gebe hier 2000 Arbeitsplätze in der Uhrenindustrie bei gut 5000 Einwohnern, sagt Patrick Tanner, der Maire von St-Imier. Gearbeitet wird vor allem bei Longines, der grossen Manufaktur vor Ort.
Auch St-Imier verlor 3000 Einwohner in der Uhrenkrise und setzte deshalb früh auf andere Wirtschaftszweige. «Die Stadt hat auf die Abhängigkeit reagiert, deshalb wurde ein Technologiepark gebaut, um Raum für neue Unternehmen zu schaffen», so Tanner.
Fazit: Die Uhrenindustrie ist nach wie vor enorm wichtig, aber die Gemeinden versuchen, sich zu emanzipieren. Das anerkennt auch die Historikerin Marti: «Es gab doch einen Ausgleich, es ist nicht mehr wie 1970, als praktisch die ganze Bevölkerung in der Uhrenindustrie arbeitete, das war unglaublich.»
Und so müssen die «Villes Horlogères» nicht mehr so zittern angesichts der Baisse bei den Uhrenexporten in diesem Jahr. Sie hoffen, dass die Pandemie bald vorbei ist und die Verkäufe wieder anziehen. Die Hoffnung allein reicht aber nicht. Deshalb läuft die schwierige Suche nach anderen Einkommensquellen weiter.