Mit drei Instrumenten hat der Bund die Schweizer Wirtschaft bis jetzt weitestgehend am Leben gehalten, nachdem im Frühjahr vielerorts Stillstand geherrscht hatte.
Eine Auswertung der Credit Suisse zeigt, dass bisher weniger von diesen Unterstützungen in Anspruch genommen wurde als gedacht:
- Kurzarbeit : Der Bund hat 20.2 Milliarden Franken für Kurzarbeit bereitgestellt. Aktuell rechnet das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco damit, dass davon dieses Jahr 12.2 Milliarden gebraucht werden. Im Mai waren knapp 900'000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in 110'000 Betrieben von Kurzarbeit betroffen.
- Überbrückungskredite : Der Bund hatte im März und im April insgesamt 40 Milliarden Franken für Überbrückungskredite bereitgestellt. Rund 136'000 Unternehmen sind diese Kredite bis jetzt gewährt worden, in der Höhe von knapp 17 Milliarden Franken.
- Erwerbsersatz : Der Bund hatte 5.3 Milliarden Franken kalkuliert, zum Beispiel für Selbständige, die von Zwangsschliessungen oder Veranstaltungsverboten betroffen sind. Bislang wurden davon 1.5 Milliarden Franken in Anspruch genommen.
Daniel Lampart warnt davor, diese Zahlen falsch zu interpretieren. «Ein grosser Teil dieser Erholung ist darauf zurückzuführen, dass man überhaupt diese Gelder gesprochen hat», sagt der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes. «Diese Lohngarantien für die Firmen, aber auch für die Arbeitnehmenden waren ja unsere Forderungen. Sie haben Schlimmeres verhindert. Man muss nur nach Grossbritannien oder in die USA schauen, um zu sehen, was geschehen wäre, wenn man das nicht gesprochen hätte.»
Ohne diese Gelder hätten wohl viele Unternehmer aufgeben müssen. Das zeigen mehrere Besuche des Wirtschaftsmagazins «ECO» in unterschiedlichen Branchen während der Schliessungsmassnahmen im Frühjahr und jetzt.
Bei Stephan JJ. Maeder etwa. Er führt das Hotel Carlton Europe in Interlaken. Auch nach den Lockerungen kamen viel weniger Gäste. Umsatzeinbussen während der Sommermonate: 50 Prozent. Er hat für seine Angestellten Kurzarbeit beantragt und zudem einen Überbrückungskredit von 300'000 Franken erhalten.
Um beides war er froh: «Das Instrument nebst dem Covid-Kredit hat überhaupt geholfen, dass ich noch da bin», sagt Maeder. «Andernfalls hätte ich die Bilanz deponieren oder irgendwie sonst die nötige Liquidität finden müssen.» Über den künftigen Geschäftsgang des Hotels wagt er keine Prognose.
Oder Delia Rausa mit ihrem Coiffeursalon in Chur. Sie konnte ihre Angestellten wieder aus der Kurzarbeit entlassen. Aber die Einnahmen liegen noch 25 Prozent unter jenen vom vergangenen Jahr.
Das Maskentragen sei für beide Seiten schwierig. Und viele seien zurückhaltend mit Ausgaben: «Fast alle hatten Einbussen». Dementsprechend gebe man weniger Geld aus, «und das merken wir».
15 Minuten weiter, im bündnerischen Grüsch, steht die Produktion von Trumpf. Das deutsche Industrieunternehmen stellt an seinem Schweizer Standort unter anderem Laser her.
Alle Angestellten waren in Kurzarbeit, auch jetzt sind es noch zwei Drittel. Geschäftsführer Andreas Conzelmann ist aber zuversichtlich, dass nun nachhaltige Besserung eintritt: «Wir hatten vier Monate lang einen sehr niedrigen Auftragseingang, was sich in niedrigen Umsätzen niederschlägt. Wir sehen jetzt aber in den letzten beiden Monaten eine Tendenz nach oben, wo zunehmend wieder investiert wird.» Typische Nachholeffekte. Aber es kämen auch neue Projekte aus dem Markt.
Von einem solchen profitiert auch Waldemar Plez. Er führt das Zahntechnik-Unternehmen Digident in Baden und sagte schon optimistisch im Mai: «Wir sind nicht wie ein Restaurant: Selbst wenn es jetzt öffnet, kann es so viele entgangene Menüs gar nicht nachholen. Bei uns ist es anders: Zähne, die nicht gemacht wurden, müssen gemacht werden. Wir gehen darum stark davon aus, alles wieder einzuholen.»
Das hat sich weitgehend bewahrheitet. Die Mitarbeitenden sind nicht mehr in Kurzarbeit, es wird sogar Neuanstellungen geben. Auch ein Covid-Kredit hat ihm geholfen, die Investition in neue Maschinen zu finanzieren.
Alle vier Unternehmer fürchten einen zweiten Shutdown. «Ich glaube nicht, dass wir das überleben würden», sagt Coiffeursalon-Geschäftsführerin Delia Rausa. Denn Kosten wie jene für die Miete liefen ja stets weiter.
Ob ein zweiter Shutdown verhängt wird oder nicht, hat direkte Konsequenzen für die wirtschaftliche Weiterentwicklung. Das zeigt Ökonom Aymo Brunetti in einer Studie. Darin unterscheidet er unter anderem das Erholungs- vom Depressionsszenario:
- Das Erholungsszenario : Die Voraussetzung dafür ist, dass es zu keinen weiteren Shutdowns kommt. Das Wachstum würde in den nächsten Quartalen anziehen, Angebot und Nachfrage zunehmen. Das Preisniveau bliebe konstant. Die Arbeitslosigkeit nähme zu, aber nicht extrem.
- Das Depressionsszenario : Es tritt dann ein, wenn es zu weiteren Shutdowns kommt. Die Wachstumsraten würden sich jahrelang nicht erholen, die Nachfrage stärker zurückgehen als das Angebot. Die Arbeitslosigkeit nähme zu, es käme zu Deflation und Bankenkrisen.
Im Interview sagt Aymo Brunetti, welches Szenario er für das wahrscheinlichste hält und weshalb er eine Sondersteuer für erfolgreiche Unternehmen für den falschen Weg hält.
SRF: Herr Brunetti, mit welchem der Szenarien rechnen Sie?
Aymo Brunetti: Im Moment sind wir zum Glück im Erholungsszenario. Einerseits sehen wir das an den nationalen und internationalen Prognosen, die mit einem stärkeren Wachstum rechnen.
Andererseits auch an Konjunktur-Indikatoren, die eindeutig anzeigen, dass wir, ausgehend von einem schweren Loch, ein langsames Wachstum haben.
Der Gewerkschaftsbund fordert eine Stärkung der Kaufkraft. Wie sehen Sie das?
Das wäre im Moment nicht hilfreich, ich würde das als problematisch ansehen. Im Moment wachsen wir in die Kapazitäten hinein. Wir sehen, dass die Konsum- und Investitionsnachfrage anzieht.
In dieser Situation wäre es problematisch, und es würde möglicherweise ein drittes Szenario, das Überhitzungsszenario, heraufbeschwören – wenn wir die Nachfrage zu stark stimulieren und dadurch zu einer Überhitzung der Wirtschaft beitragen würden mit sehr teuren Massnahmen. Das wäre kontraproduktiv.
Wie lange ist es sinnvoll, Massnahmen wie die Kurzarbeit weiterzuführen?
Die Kurzarbeit war natürlich ein Segen in dieser Krise. Und der Ausbau der Kurzarbeit, den wir gemacht haben, war absolut sinnvoll und hat sehr geholfen.
Aber es ist richtig, dass man jetzt beginnt, schrittweise wieder in einen normalen Rhythmus hineinzukommen, dass man die ausserordentlichen Massnahmen zurückfährt. Dennoch war es ein sehr wichtiges Instrument.
Wie wahrscheinlich ist das Depressionsszenario?
Das ist leider nicht ganz so unwahrscheinlich. Es hängt alles von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab – ob es gelingt, einen zweiten, umfassenden Lockdown zu verhindern.
Wenn wir noch mal einen Lockdown hätten, würden wir wieder die Wirtschaft stark zurückfahren, der Konsum und die Investitionen würden einbrechen, und das würde die Erwartungen massiv verschlechtern. Man hätte dann nicht das Gefühl, dass es eine einmalige Sache war, sondern dass es immer wieder kommen könnte.
Das könnte zu einem sehr starken Rückgang der Nachfrage führen, und damit zu einer sich selbst verstärkenden Rezession und Depression.
Dann würden wohl Stimmen laut, dass wir ein grosses Konjunkturprogramm brauchen. Was sagen Sie dazu?
Für diesen – hoffentlich unwahrscheinlichen – Fall wären zusätzliche stimulierende Massnahmen notwendig und sinnvoll. Denn dann ginge es darum, einem Einbruch der Konsum- und Investitionsnachfrage entgegenzuwirken mit konjunkturpolitischen Massnahmen. Das ist aber für den Fall der schweren Depression, das ist nicht für den heutigen Fall.
Für all die Massnahmen, die jetzt schon getätigt wurden, hat der Staat Milliarden bereitgestellt. Das lässt die Schulden stark steigen. Jetzt kam die Idee nach einer Covid-Sondersteuer auf. Was halten Sie davon?
Das finde ich eine ganz schlechte Idee. Was senden Sie für ein Signal aus, wenn Sie die Gewinner besonders stark besteuern; wenn sie jene, die erfolgreicher durch die Krise kamen, dafür bestrafen, dass das gelungen ist?
Zweitens hätten Sie auch das Problem der Abgrenzung: Wer ist ein Gewinner, wer ist gerade noch kein Gewinner? Die, die gewinnen, zahlen ohnehin auch im heutigen System mehr Steuern.
Das Interview führte Reto Lipp.