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Holokratie vs. Hierarchie Arbeiten ohne Chef: Funktioniert’s?

Flache Hierarchien sind im Trend. Die reine Holokratie eignet sich aber nicht für alle Firmen gleich gut.

«Ich mache mir Sorgen, dass wir zu wenig Zeit und Ressourcen für alle Projekte haben.» Emilie Boillat spricht an der Teamsitzung offen zu ihren Arbeitskolleginnen und -kollegen. Sie diskutieren, ob sie eine neue Person anstellen möchten.

An der Sitzung nehmen keine Vorgesetzten teil. Denn bei der IT-Agentur Liip gibt es keine Hierarchien mehr. 2016 änderte das Zürcher Unternehmen seine internen Strukturen zu einer sogenannten Holokratie.

Was ist eine Holokratie?

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Holokratie ist eine Form der Unternehmensstruktur. Der US-Unternehmer Brian Robertson hat dieses Managementsystem entwickelt, um Hierarchien abzuschaffen. Statt Personen mit hierarchisch angeordneten Funktionen stehen bei der Holokratie verschiedene Rollen im Vordergrund. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen mehr Entscheidungskompetenzen erhalten. Sie sollen mehr Verantwortung tragen, anstatt Befehle der Vorgesetzten zu befolgen, um vermehrt ihre eigenen Ideen einbringen zu können.

Boillat arbeitet seit sieben Jahren als Buisness Developer bei Liip. In früheren Jobs hatte sie immer Vorgesetzte: «In meiner täglichen Arbeit priorisierte ich damals immer die Dinge, von denen ich glaubte, dass mein Chef sie wichtig finden würde.» Das sei heute nicht mehr der Fall, da sie nun die Verantwortung mittrage.

Vier Personen arbeiten in einem Büro. Zwei Männer besprechen etwas zusammen und blicken in einen Desktop.
Legende: Bei der IT-Firma Liip wird in flachen Hierarchien gearbeitet. SRF

Auch Axa Schweiz macht ihre Arbeitsstrukturen agiler: Zum Jahresauftakt strich der Versicherungskonzern die Titel aus seinem Organigramm. Damit werden Statussymbole und Privilegien des Kaders abgeschafft und flachere Hierarchien begünstigt.

Wir wollen den Mitarbeitenden mehr Entscheidungskompetenzen geben.
Autor: Daniela Fischer Personalchefin, Axa Schweiz

Ganz auf Hierarchien verzichte man aber nicht: «Eine Art Hierarchie wird es in Unternehmen unserer Grösse immer geben. Es braucht sie, um eine gewisse Verantwortlichkeit zu schaffen», sagt die Personalchefin Daniela Fischer. Aber: «Wir wollen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit der neuen Struktur mehr Entscheidungskompetenzen geben.» Zudem wolle man sich an die Bedürfnisse der jüngeren Generationen anpassen.

Auch führt der Versicherungskonzern ein neues Lohnsystem ein, um mehr Transparenz zu schaffen. Es beinhaltet unter anderem fixe und variable Bonusanteile, die allen Mitarbeitenden bekannt sein sollen.

Selbst in den agilen Teams haben wir Chef-Funktionen.
Autor: Sabrina Hubacher Mediensprecherin, Swisscom

Swisscom testet bereits seit zehn Jahren flexible Organisationsformen: Von den rund 16'000 Angestellten des Telekommunikationsunternehmens arbeiten 5000 Personen in sogenannt agilen Strukturen. Es sind vor allem Personen in der IT und in der Produktentwicklung.

Um ganz auf Hierarchie zu verzichten, sei die Firma zu gross, betont die Mediensprecherin der Swisscom, Sabrina Hubacher. «Selbst in den agilen Teams haben wir Chef-Funktionen. Diese Personen definieren die Strategien und entscheiden über Budgets.»

Hierarchie oder Holokratie?

Den Trend zu flacheren Hierarchien gibt es seit mehreren Jahren. Er kommt aus der IT-Branche und ist vor allem bei kleineren Firmen und Start-ups verbreitet.

Laut dem Managementexperten Matthias Mölleney ist die reine Form der Holokratie aber nur für wenige Firmen geeignet. Es gebe aber immer mehr gemischte Formen, wie bei der Swisscom und bei der Axa Schweiz. «Stellen Sie sich ein Kontinuum vor – von der strikt geführten Top-Down-Firma bis zum Unternehmen ohne Hierarchien. Die meisten Unternehmen suchen sich irgendwo auf diesem Kontinuum ihren Platz», erklärt Mölleney.

Schwierige Transformation

Der Wandel zu flachen Strukturen ist für Firmen nicht immer einfach. «Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen stark in den Prozess integriert werden. Nicht alle wollen ihre Macht abgeben oder wünschen sich mehr Entscheidungskompetenzen», so Mölleney.

Das war ein Prozess, der schmerzhaft war.
Autor: Hannes Gassert Co-Gründer, Liip

Diese Erfahrung machte auch die IT-Firma Liip. Als im 2016 der Wechsel zu den flachen Hierarchien anstand, verliessen sechs Personen des mittleren Managements das Unternehmen. «Das war ein Prozess, der schmerzhaft war», erinnert sich Co-Gründer Hannes Gassert. Er habe ihnen aber auch neue Möglichkeiten und Freiheiten gebracht.

10vor10, 8.1.2024, 21:50 Uhr; srf/ib;flal

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