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Klimafreundlich investieren AHV-Fonds will raus aus der Kohle

Der Ausgleichsfonds Compenswiss stösst klimaschädliche Aktien ab – und folgt damit einem Trend.

36 Milliarden Franken – so viel Geld verwaltet Compenswiss, der Ausgleichsfonds von AHV, IV und EO. Nun haben die Verantwortlichen entschieden, künftig weniger Geld in Kohlefirmen zu investieren.

Wir gehen ein zu hohes Risiko ein für das, was wir erhalten.
Autor: Frank Juliano Anlagechef AHV-Ausgleichsfonds

«Wir sind zum Schluss gekommen, dass das Risiko von Investments in solche Firmen nicht genügend entschädigt wird», sagt Frank Juliano, Anlagechef von Compenswiss. «Anders gesagt: Wir gehen ein zu hohes Risiko ein für das, was wir erhalten.»

Kohle sei nicht überlebensfähig. Compenswiss werde deshalb ab 2021 Beteiligungen an Firmen verkaufen, die mehr als 50 Prozent ihres Geschäfts mit Kohleabbau oder Kohlestrom tätigen.

Betroffen sind rund 20 Firmen, Investments im Umfang von 20 Millionen Franken. Die 50-Prozent-Schwelle dürfte nach und nach sinken, um weitere Kohlefirmen auszuschliessen.

Alle setzen auf ESG – und definieren selbst

Der AHV-Ausgleichsfonds ist nicht allein mit solchen Überlegungen. Grosse Investoren – Pensionskassen, Versicherungen, Vermögensverwalter – trimmen ihre Portfolios zunehmend auf Nachhaltigkeit. Und betonen dies auch gerne.

ESG heisst die Zauberformel, sie steht für Environment (Umwelt), Social (Gesellschaft) und Governance (gute Unternehmensführung). Investoren beziehen ESG-Kriterien immer stärker in ihre Anlageentscheide mit ein.

Nachhaltigkeit lockt Anlagemuffel an die Börse

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Das Zürcher Fintech-Unternehmen Yova hilft Kunden, nachhaltig anzulegen, ab 2000 Franken Anlagevermögen, alles online.

Gründer und Geschäftsführer Tillmann Lang sagt, über 70 Prozent seiner Kunden hätten davor noch nie Geld angelegt. Das Thema Nachhaltigkeit locke sie nun an die Börse. «Das ist ein Argument, das für viele Menschen gut funktioniert, die sich in der Vergangenheit nicht abgeholt fühlten vom Finanzsystem.»

Allerdings: Wie bei den grossen Investoren (siehe Lauftext) bestimmt auch bei Kleinanlegern jeder selbst, was nachhaltig ist und was nicht. Ob etwa Nuklear-Energie dazu zählt oder nicht.

Dass einheitliche Standards fehlen, stört Tillmann Lang. «Das ist, wie wenn ich mein eigenes Bio-Label auf mein Essen mache, ich aber gar nicht weiss, wofür es steht».

Beispiel Swiss Re: Der Rückversicherer tätigt gemäss eigenen Angaben 100 Prozent seiner Anlagen ESG-konform. Nicht aus moralischen Überlegungen, sondern aus finanziellen: Die Performance sei klar besser als jene eines herkömmlichen Portfolios. Seit Anfang Jahr etwa hätten die Aktienanlagen um über ein Prozent besser abgeschnitten.

Beispiel Publica: Die Pensionskasse des Bundes sagt auf Anfrage, sie lege 78 Prozent ihrer Gelder nach ESG-Kriterien an.

Auch etliche andere Pensionskassen und Versicherer geben an, zwischen 50 und 90 Prozent ihrer Anlagegelder nach ESG-Kriterien zu verwalten.

Das Problem: Die Zahlen sind nicht vergleichbar. Denn jeder bestimmt selbst, was nachhaltig ist und was nicht.

Deshalb lässt sich Compenswiss-Anlagechef Frank Juliano auch nicht aus der Ruhe bringen von der Tatsache, dass der ESG-Anteil des AHV-Ausgleichsfonds «nur» bei 48 Prozent liegt.

«Flüssige Mittel, Bundesobligationen und Darlehen an Kantone und Gemeinden zählen wir nicht zu den ESG-konformen Anlagen», sagt er. Aber das bedeute noch lange nicht, dass Bundesobligationen nicht nachhaltig seien. «Das ist Definitionssache», sagt Juliano.

Online-Plattform prüft Aktien auf ihren Fussabdruck

Solange ein einheitlicher Standard fehlt, nach dem Investoren ihre ESG-Anlagen bewerten, hilft nur eines: Transparenz. Davon ist Reto Ringger überzeugt.

Er gilt als Pionier nachhaltiger Geldanlage, hatte bereits 1995 den Vermögensverwalter Sustainable Asset Management SAM gegründet. Heute ist er Chef der Globalance Bank, die 1.3 Milliarden Franken verwaltet.

Seit dieser Woche herrscht dank Ringger etwas mehr Transparenz. Er bietet gratis eine Online-Plattform an, die etliche Indizes und Tausende Firmen auf ihre Nachhaltigkeit prüfen kann: auf ihr Klimaerwärmungspotenzial, auf den Fussbadruck, auf ihre Ausrichtung auf Megatrends.

Ein Beispiel: «Nestlé hat ein Erwärmungspotenzial von 5.5 Grad, Roche von 3.2 Grad und Novartis von 2.8», sagt Ringger mit Blick auf die Plattform.

Zur Erinnerung: Das Paris-Abkommen fordert, die Erwärmung gegenüber vorindustriellen Werten auf unter zwei Grad zu begrenzen. Ringger schafft mehr Transparenz, als manchen lieb sein dürfte. «95 Prozent der börsenkotierten Firmen sind über dem Klimaziel von Paris», so der Banker weiter. Es ist noch viel zu tun.

WWF will Investoren stärker in die Pflicht nehmen

Dem WWF sind deshalb die Fortschritte institutioneller Investoren nicht genug. Eine Sprecherin verweist auf eine kürzlich erschienene Studie des Bundesamtes für Umwelt, wonach der Schweizer Finanzplatz vier Mal mehr Geld in Kohle investiere als in erneuerbare Energien.

Blackrock-Schweiz-Chefin: «Fokus dort, wo es am schlimmsten ist»

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Frau mit hellbraunem Rossschwanz.
Legende: SRF

Blackrock ist mit einem Anlagevermögen von 7600 Milliarden Dollar der weltweit grösste Vermögensverwalter. Er investiert Geld von Pensionskassen, Staatsfonds, Versicherungen und Privaten in Firmen weltweit. Nur etwas mehr als neun Prozent sind nach ESG-Kriterien verwaltet. Mirjam Staub-Bisang ist Schweiz-Chefin von Blackrock; sie berät das Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit.

SRF: Frau Staub-Bisang, neun Prozent tönt nicht nach viel .

Mirjam Staub-Bisang: Neun Prozent klingen tatsächlich nicht nach viel, wenn man es relativ sieht. Aber absolut sind neun Prozent von 7600 Milliarden Dollar eine stolze Zahl. Da sind wir nicht weit weg vom gesamten verwalteten Pensionskassenvermögen in der Schweiz.

Man kann ESG-Werte, die institutionelle Investoren ausweisen, zwar nicht direkt vergleichen. Dennoch: Versicherer und Pensionskassen liegen mit Werten von 50 bis 100 Prozent deutlich über Blackrock.

Ein Viertel unserer Gelder sind aktiv verwaltete Vermögen. Drei Viertel liegen in Indexanlagen, das sind ETF, sogenannte Passivanlagen. Auf diesen Anlagen, wo wir nicht einen klaren Nachhaltigkeitsansatz haben, haben wir eine aktive Aktionärspolitik. Wir pflegen den Dialog mit der Unternehmensspitze und stellen dort die Nachhaltigkeit ins Zentrum des Dialogs.

Wie können Sie bei den Firmenchefs Einfluss nehmen?

Hier geht es darum, dass wir die Unternehmen anhalten, transparent über Klimarisiken, über Nachhaltigkeitsrisiken in ihrem Geschäft zu berichten.

Und wenn sie das nicht tun?

Dann kommen sie auf eine Watchlist. Dieses Jahr haben wir rund 200 Unternehmen auf diese Liste gesetzt. Wir geben ihnen ein Jahr Zeit, transparenter zu werden oder an ihren Geschäftsstrategien zu arbeiten. Wenn es nicht zufriedenstellend ist, müsste man einen Schritt weitergehen. Das heisst, dass man möglicherweise eine Décharge nicht erteilt oder Verwaltungsräte nicht wieder wählt.

200 Firmen sind wenig, wenn man bedenkt, dass Blackrock in praktisch alle grossen Unternehmen investiert ist.

Wir sind auf einer Reise und haben unseren Fokus auf jene Unternehmen gelegt, welche die grössten CO2-Produzenten sind – also die kritischen Industrien, das sind Energie-, aber auch Industrie-Unternehmen. Aber wir schauen die Nachhaltigkeits-Strategien sämtlicher Unternehmen an, in die wir investiert sind. Im Moment ist der Fokus dort, wo es am schlimmsten ist.

Der WWF fordert mehr Transparenz von Banken, Versicherungen, Pensionskassen und Vermögensverwaltern. Diese sollten «Zielpfade definieren, bis wann alle ihre Finanzflüsse übereinstimmen mit dem Ziel, die Erderhitzung auf 1.5 Grad zu begrenzen», so die Sprecherin.

Was nachhaltig ist und was nicht, definiert bis auf Weiteres jeder Investor selbst. Nachhaltigkeit ist im Trend – das gilt übrigens auch für Anleger mit kleinen Budgets (siehe Box oben). Mit Blick auf mögliche Finanzrisiken trennt sich mancher aber von sich aus von klar klimaschädlichen Anlagen. Wie das Beispiel des AHV-Fonds zeigt.

ECO, 16.11.2020, 22.25 Uhr

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