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Konsum nach dem Lockdown Die Kunden kommen wieder – die Sorgen bleiben

Die Läden steigern Umsätze mit Rabattschlachten und Online-Verkauf. Doch wieder geöffnete Grenzen trüben die Aussichten.

30, 50, 70 Prozent: VIele Detailhändler sind bereits jetzt im Juni in den Ausverkauf gestartet und überbieten sich mit Sonderangeboten. Mit regelrechten Rabattschlachten wollen sie Kunden wieder in ihre Läden locken.

Vorne mit dabei ist Manor, die grösste Warenhauskette der Schweiz. «Es ist nicht der Best Case», sagt Geschäftsführer Jérôme Gilg bei einem Rundgang durch vollgestopfte Regale und Kleiderstangen in der Filiale in Luzern. Doch man wolle möglichst viel Ware verkaufen.

Besonders in den Kleiderabteilungen sind die Überbestände wegen des Corona-Lockdowns gross. Man habe insbesondere bei Sport- und Kindertextilien zu viel eingekauft.

Ein Augenschein zeigt denn auch volle Lager. Die Warenbewirtschaftung sei nicht einfach gewesen während Corona. Nicht alle zuviel bestellten Kleider konnten wieder zum Lieferanten zurückgeschickt werden.

Einkaufstourismus bringt alte Probleme zurück

Der Betrieb laufe wieder recht gut, sagt Gilg, die Kundenfrequenzen seien zwar tiefer als vor Corona, doch dank des Ausverkaufs läge der Umsatz der letzten Wochen über dem Vorjahr.

Für den Sommer und das zweite Halbjahr rechnet er jedoch wieder mit einem Rückgang der Umsätze: «Für die nächste Zeit bin ich eher pessimistisch», sagt der Manor-Chef. Eine seiner Sorgen ist der Einkaufstourismus im Ausland, der seit dieser Woche wieder möglich ist. Jährlich geben Schweizer Konsumenten rund 10 Milliarden Franken im nahen Ausland aus. «Wir erwarten deshalb einen Einbruch», so Gilg weiter. Dennoch hofft er, durch einen Mix von Preisen und breitem Sortiment «dabei zu sein».

Manor erlitt wegen der zweimonatigen Schliessung der 59 Filialen Umsatzeinbussen von 180 Millionen Franken und rechnet bis Ende Jahr mit einem Umsatzminus von rund 15 Prozent.

Tally Weijl: Online-Ausbau und Spardruck

Das Schweizer Modeunternehmen Tally Weijl litt – wie viele andere – schon vor Corona unter sinkenden Umsätzen, tieferen Laden-Frequenzen und steigenden Mieten.

Der Lockdown verschlechterte die Situation zusätzlich. Wegen Umsatzausfällen von 80 Millionen Franken musste das Unternehmen einen Notkredit beim Bund über 25 Millionen Franken beantragen. Die Verhandlungen laufen noch.

Tally Weijl hat in den vergangenen Jahren 30 Millionen Franken in den Ausbau des Online-Geschäfts investiert. Das Unternehmen wandle sich von einem klassischen Detailhändler zu einem Onlinehändler, dafür brauche es weniger Filialen, sagt Mitinhaber Beat Grüring, der das Kleiderunternehmen 1984 zusammen mit seiner Geschäftspartnerin und Ex-Frau Tally Elfassi-Weijl gründete. Hauptsitz ist Basel.

Von den europaweit 800 Filialen werden bis Ende 2021 voraussichtlich 200 geschlossen und 750 bis 800 Stellen abgebaut. In der Schweiz drohen 5 bis 10 Filialschliessungen und der Abbau von 50 bis 80 Stellen.

Manor und Tally Weijl zeigen: Die Anfangseuphorie von Kleiderläden und Warenhäuser nach dem Neustart wird schon bald wieder auf dem Boden der Realität ankommen.

Verzögerte Kleiderproduktion: Beispiel Zimmerli

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Der Schweizer Edel-Unterwäsche-Hersteller Zimmerli ist vom zögerlichen Neustart der Warenhäuser betroffen. Das Unternehmen stellt seine Ware mehrheitlich im Tessin her.

Dort läuft die Produktion erst wieder 50 Prozent, auch weil die Aufträge einbrachen, und die Nachfrage der Kunden – Warenhäuser in der Schweiz und in Deutschland – laufe erst langsam wieder an, sagt Zimmerli-Geschäftsführer Jànos Hée.

Aymo Brunetti: «Wir sind auf einem guten Pfad.»

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Ökonom Aymo Brunetti ist zuversichtlich für den Schweizer Konsum. Der Wirtschaftsprofessor der Universität Bern warnt im Interview davor, ein Konjunktur-Paket aufzusetzen, auch wenn das Haushaltseinkommen in der Schweiz in diesem Jahr sinken wird.

SRF: Der Konsum zieht aktuell wieder an. Wie nachhaltig ist das Konsumklima?

Aymo Brunetti: Es war sehr speziell in diesem Abschwung, dass wir einen sehr starken Rückgang des Konsums hatten. Das ist ganz anders als normalerweise, wenn der Konsum auch in einer Rezession noch weiter wächst.

Die grosse Hoffnung war, dass der Konsum mit dem Ende des Lockdowns anzuziehen beginnt. In den ersten Daten sehen wir zwar keinen starken, aber einen deutlichen Anstieg des Konsums. Wenn das so weitergeht, sind wir auf einem guten Pfad.

Die Konsumfreude ist auch stark abhängig davon, wie viele Jobs wegfallen. Wie schlimm wird es diesen Sommer oder Herbst?

Das wird ganz entscheidend sein. Wenn die Erholung anhält, wenn die Arbeitslosigkeit nicht allzu stark ansteigt, dann ist davon auszugehen, dass wir nicht so einen starken Unsicherheitseffekt haben.

Ganz anders wäre es, wenn wir eine zweite starke Ansteckungswelle und einen zweiten Lockdown hätten. Das würde die Unsicherheit über die Einkommen und die weitere Entwicklung gewaltig erhöhen. Die Gefahr wäre gross, dass die Konsumenten ihre Ausgaben sehr stark zurückfahren.

Dann wäre die Nachhaltigkeit ernsthaft in Frage gestellt. Aber das ist im Moment nicht das Hauptszenario.

Gemäss einer Studie der Credit Suisse fallen die Haushaltseinkommen in der Schweiz dieses Jahr um 5 Prozent. Müsste man da den Konsum nicht staatlich ankurbeln. Stichwort: Konjunkturpaket?

Es kann nicht die Aufgabe des Staates sein, dass er jeden Rückgang des Einkommens vollständig kompensiert. Was wir bisher mit der Kurzarbeit und den Liquiditätshilfen gemacht haben, war schon ein gewaltiges Konjunktur-Stimulierungs-Paket. Wir haben noch nie in so kurzer Zeit so viel Geld ausgegeben.

Ein Konjunktur-Paket im eigentlichen Sinne wäre völlig falsch im Moment, weil wir nicht wissen, in welche Richtung es sich weiterentwickelt. Wenn wir einen normalen Aufschwung haben, wäre das eine völlige Überstimulierung und eine Verschwendung von öffentlichen Ressourcen.

Wenn wir eine zweite Welle und einen schweren Lockdown hätten, dann müsste man allenfalls über Konjunkturprogramme sprechen. Aber nicht jetzt.

Das Interview führte Reto Lipp.

ECO vom 15. Juni 2020

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