11.3 Milliarden Franken betragen die Reserven der Krankenkassen in der Grundversicherung. Zu viel, findet Gesundheitsminister Alain Berset. Er plant, per 1. Juni 2021 die Krankenversicherungs-Aufsichtsverordnung (KVAV) zu ändern.
Bundesrat will Abbau um ein Drittel
Die Verordnung setzt bei der sogenannten Solvenzquote an. Die Quote drückt die finanzielle Stabilität der einzelnen Krankenkassen aus, und zwar unter Berücksichtigung von Extrem-Ereignissen.
Bisher galt eine Solvenzquote von 150 Prozent als Mindestanforderung. Neu soll diese Quote nur noch 100 Prozent betragen.
Das bedeutet: Eine Kasse muss mindestens ein Jahr lang zahlungsfähig bleiben, auch wenn ein Jahrhundertereignis eintritt, welches die Kosten explodieren lässt. Bisher sind eineinhalb Jahre der Massstab.
Die Solvenzquote aller Kassen lag seit deren Einführung im Jahr 2012 meistens über dem geltenden Minimum von 150 Prozent.
Sie stieg in den vergangenen beiden Jahren gar auf 203 Prozent an. Entsprechend stiegen auch die Reserven in diesem Zeitraum, auf heute 11,3 Milliarden Franken. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Kassen sind allerdings gross (s. Tabelle unten).
Dieser Trend soll mit der Vorlage gebrochen werden. «Die Revision sorgt dafür, dass hohe Reserven nicht unnötig weiter ansteigen, indem Versicherer die Prämien knapper kalkulieren müssen», sagt Jonas Montani, Sprecher beim Bundesamt für Gesundheit.
Das heisst: Von den Kassen wird erwartet, dass sie von vornherein tiefere Prämien kalkulieren, statt das Geld im Nachhinein den Versicherten zurückzuzahlen und so Reserven abzubauen.
In der Branche herrscht Uneinigkeit
Die beiden Krankenkassenverbände sind sich uneinig über die geplante Änderung: Während Santésuisse die Revision ablehnt, befürwortet Curafutura die neuen Regeln.
Zu Curafutura gehören die beiden grossen Kassen Helsana und CSS. Der Finanzchef von Marktführer CSS, Armin Suter, hält einen Abbau der Reserven für gerechtfertigt.
Die Solvenzquote der CSS möchte er von aktuell 197 Prozent «auf 130 bis 140 Prozent» senken. «Dieser Abbau ist vertretbar und gefährdet die CSS nicht».
Anderer Meinung ist Nikolai Dittli, Geschäftsführer der Concordia: «Wenn man die Prämien durch politischen Druck zu sehr absinken lässt, besteht ein zu grosses Risiko, dass Versicherer insolvent werden oder gar Konkurs gehen, falls gleichzeitig die Gesundheitskosten übermässig ansteigen.» Concordia verfügt über eine Solvenzquote von 241 Prozent.
Reserveabbau in der Pandemie?
Gesundheitsökonom Willy Oggier kritisiert das Vorhaben des Bundesrates ebenfalls. Umso mehr, als dieser Plan ausgerechnet in Pandemie-Zeiten vorgebracht werde, in denen man die Langzeitfolgen noch nicht abschätzen könne.
Oggier hält die Verordnungsänderung für eine rein politische Massnahme: «Es geht hier vor allem um Budget-Kosmetik. Seit der Einführung des Krankenversicherungs-Gesetzes hat fast jeder Bundesrat versucht, an den Reserven zu schrauben und zwar immer nach unten.»
Fest steht: Das Geld in der Grundversicherung gehört den Versicherten, auch die Reserven. Sie dürfen nicht für andere Zwecke verwendet werden.
Das Bundesamt für Gesundheit kann die Kassen allerdings nicht zu einem Abbau zwingen. «Nach der Revision ist der Reserveabbau weiterhin freiwillig», bestätigt Jonas Montani.
Ob der Bundesrat die geänderte Verordnung tatsächlich per 1. Juni einführt, hat er noch nicht definitiv entschieden.