Krieg in der Ukraine - Zeitenwende für Rüstungsfirmen in der Schweiz
Angesichts der neuen Bedrohungslage werden Rüstungsunternehmen in der Schweiz vermutlich neue Aufträge erhalten. Im Bereich konventioneller Waffensysteme sind hiesige Produzenten gemäss Experten gut aufgestellt.
Mit dem Krieg in der Ukraine sind die Aktien von Rüstungsunternehmen in die Höhe geschnellt: Die deutschen Firmen Rheinmetall und Hensoldt legten nach der Ankündigung der deutschen Regierung, das Verteidigungsbudget zu erhöhen, in den vergangenen Wochen 50 Prozent oder noch mehr zu, die US-Firma Lockheed Martin und die israelische Elbit um über 20 Prozent.
Rüstungsfirmen waren in armeekritischen Kreisen bisher verpönt, nun scheinen sie an Akzeptanz zuzulegen. In der Schweiz machte die Solothurner SP-Nationalrätin Franziska Roth den Anfang. Zur Zeitschrift «Nebelspalter» sagte sie, die Abrüstung der konventionellen militärischen Kampfmittel wie Artillerie und Panzer stelle momentan keine Option mehr dar: «Wir haben uns getäuscht, als wir behauptet haben, dass territoriale Angriffskriege kein realistisches Szenario seien.»
Rüstungsindustrie in der Schweiz
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Landsysteme
Schweizer Unternehmen bieten als «Systemintegratoren» komplette Produkte im Bereich der Landsysteme an. Dazu gehören Flugabwehrsysteme von Rheinmetall Air Defence, mittlere und leichte Panzerfahrzeuge von GDELS-Mowag oder der Mörser 16, welchen Ruag gemeinsam mit GDELS-Mowag entwickelt hat. Ebenfalls wird kleinkalibrige (Ruag Ammotec, Saltec), mittelkalibrige (Rheinmetall) und grosskalibrige (Saab Bofors Dynamics Switzerland) Munition hergestellt.
Militäraviatik
Im komplexeren Bereich der Militäraviatik beschränken sich Schweizer Produzenten auf die Zulieferung von Komponenten für ausländische Hersteller. Ruag Aviation beispielsweise fertigt Nutzlastaufhängungen für den Kampfjet Gripen der schwedischen Firma Saab und entwickelt das «Sense-and-Avoid-System» für das Aufklärungsdrohnensystem ADS 15 des israelischen Herstellers Elbit, das in der Schweiz eingeführt wird.
Dual Use
Der Dual-Use-Bereich beschreibt Industrie- und Forschungskompetenzen, die sowohl zivile als auch militärische Anwendungen bedienen können. Beispiele sind die Trainingsflugzeuge von Pilatus Aircraft, der von Ruag, ETH und Armasuisse entwickelte Gefechtsfeldroboter Artor, Crypto- und Cyberanwendungen sowie Satelliten und die damit verbundenen Schnittstellentechnologien.
Quelle: Amos Dossi, Center for Security Studies ETH
Amos Dossi vom Center for Security Studies ETH sieht Potenzial für Rüstungsfirmen in der Schweiz: «Der Krieg in der Ukraine zwingt europäische Staaten zu einer Überprüfung ihrer Verteidigungsdispositive. Im Bereich der konventionellen Waffensysteme sind die Lücken derzeit am offensichtlichsten, weshalb sich hier auch der politische Handlungsdruck zu bündeln scheint.»
Interview mit Ruag International
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Ruag International hat am 15. März das Betriebsergebnis 2021 kommuniziert: Der Umsatz stieg auf 1240 Millionen Franken (2020: 1181 Millionen), der Gewinn vor Steuern auf 70 Millionen Franken (2020: -224 Millionen). Alle vier Geschäftsbereiche Ruag Space, Ruag Aerostructures, Ruag Ammotec und Ruag MRO lagen im Plus.
SRF News: Inwiefern geht Ruag davon aus, dass das Unternehmen aufgrund der veränderten Sicherheitslage wegen des Krieges in der Ukraine in Zukunft neue Aufträge haben wird?
CEO André Wall: Das ist aus heutiger Situation noch sehr schwierig einzuschätzen. Der Ukraine-Krieg wird jedoch tendenziell für uns eher negative Auswirkungen haben – gerade, wenn die Energiekosten steigen. Auch im Space-Bereich und Flugzeugstrukturbereich muss mit Einschränkungen gerechnet werden. Beispielsweise bei der Beschaffung von Rohstoffen, wo wir vorsichtshalber auf der Suche nach Alternativen sind. Wir beobachten die Situation fortlaufend und evaluieren mit unseren Kunden und Partnern die Auswirkungen auf die verschiedenen Projekte, an denen wir beteiligt sind. Der Munitionsbereich verzeichnet hingegen – Stand heute – keinen merklichen zusätzlichen Bestelleingang.
Warum verkauft Ruag in dieser Situation Ammotec und macht das Geschäft nicht rückgängig?
Wir setzten unsere vereinbarte Strategie in enger Abstimmung mit dem Eigner um. Uns ist bewusst, dass der Entscheid mehrfach und unterschiedlich politisch diskutiert wurde (zuletzt am 7. März in der Fragestunde des Nationalrats). Der Bundesrat kam dabei zum Schluss, dass die Beteiligung des Bundes an der Ammotec für die Sicherstellung der Munitionsversorgung der Schweizer Armee nicht relevant ist. Für uns haben sich keine Veränderungen in der Strategie ergeben.
In diesem Technologiefeld könnten schweizerische Produzenten bereits heute eine Reihe geeigneter Produkte anbieten, insbesondere im Bereich der Landsysteme, so Dossi. Es sei anzunehmen, dass Firmen wie Rheinmetall Air Defence oder GDELS-Mowag neue Aufträge erhalten würden, und zwar aus Ländern, in die sie ohne grössere bürokratische Hürden exportieren könnten.
Etwas anders sieht es Adi Feller von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GsoA). Er geht davon aus, dass der Druck, die Waffensysteme in Europa zu vereinheitlichen, zunehmen werde – aktuell gibt es etwa zwei Dutzend verschiedene Schützenpanzerarten. Davon würden in erster Linie diejenigen Unternehmen in der Schweiz profitieren, die sich schon heute in ausländischer Hand befinden: Mowag, die zu GDLS und die ehemalige Oerlikon Contraves, die zu Rheinmetall gehören.
«Mowag hat dabei wohl nicht die schlechtesten Karten für ein Überleben des Piranha als Schützenpanzersystem, da Spanien wie Rumänien grössere Mengen davon beschaffen sowie dieses Panzermodell auch die Basis eines der meistverwendeten amerikanischen Schützenpanzermodelle darstellt.» Da die Piranhas für Spanien aber lokal produziert werden und sich in Rumänien eine Produktion im Aufbau befinde, werde sich weisen, ob langfristig viele Aufträge für die Mowag in der Schweiz abfallen würden.
Stellungnahmen der Rüstungsfirmen
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Rheinmetall: «Momentan sind die Dinge sehr in Bewegung und die Regierungen in vielen Ländern denken konkret über Beschaffungen im militärischen Bereich nach. Sie werden sicher Verständnis dafür haben, wenn wir anstehenden Entscheidungen im Detail nicht vorgreifen wollen.»
GDELS-Mowag: «Vor dem Hintergrund der tragischen Ereignisse in der Ukraine überprüfen die meisten europäischen Länder ihre verfügbaren militärischen Fähigkeiten und bewerten diese mit Blick auf wachsende Erfordernisse. Im Bereich der militärischen Mobilität bietet GDELS-Mowag eine grosse Palette von hoch geschützten Fahrzeugen, um den möglichen Bedarf ihrer Kunden und Partner zu decken und auch zukünftige Anforderungen erfüllen zu können. Weil Rüstungsgeschäfte langfristigen Beschaffungszyklen unterliegen, ist es zurzeit jedoch noch völlig offen, ob und in welchem Umfang sich diese zukünftigen Bedürfnisse konkret auf unsere Auftragslage auswirken werden.»
Saab Bofors Dynamics Switzerland: «Saab kann und wird nicht über zukünftige oder erwartete Aufträge spekulieren. Wenn wir Aufträge und Verträge unterzeichnet haben, werden wir dies wie üblich kommunizieren. Die aktuelle Situation mit einem Krieg im vollen Ausmass in Europa zeigt erneut, dass Länder das Recht haben, sich selbst zu verteidigen und wie wichtig es ist, die Bevölkerung und die Gesellschaft zu schützen.»
Stefan Brupbacher, Direktor des Industrieverbands Swissmem, sagt zu SRF, der Angriff Russlands auf die Ukraine habe die sicherheitspolitische Lage Europas grundlegend verändert: «Das betrifft auch die Schweiz, denn sie hat sich völkerrechtlich zur bewaffneten Neutralität verpflichtet.
Und: «Die europaweit und global höheren Verteidigungsausgaben dürften potenziell zu mehr Aufträgen für Schweizer Firmen in der Sicherheits- und Wehrtechnikbranche führen, sofern unsere Firmen ihre Produkte exportieren dürfen. Export bleibt zentral, denn selbst bei steigenden Ausgaben ist der Heimmarkt Schweiz alleine zu klein. Die Ukraine zeigt leider täglich die Wichtigkeit einer eigenen Sicherheitsindustrie für die Durchhaltefähigkeit im Kriegsfall.»
Aufträge für Schweizer Rüstungsfirmen: Der Krieg in Europa sorgt dafür, dass ihr Geschäft weniger kritisch beäugt wird als in Friedenszeiten.
SRF 4 News, 15.03.2022, 14:00 Uhr
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