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Krisen-Instrument Kurzarbeit rettet tausende Jobs

Jeder Dritte ist für Kurzarbeit angemeldet. Ohne diese wäre die Arbeitslosigkeit viel höher – wie in den USA.

Zehn Prozent. So hoch wäre die Arbeitslosigkeit derzeit in der Schweiz, wenn es keine Kurzarbeit gäbe. Aktuell liegt sie bei 2.9 Prozent.

Die Zahl stammt von Michael Siegenthaler, Arbeitsmarkt-Experte an der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Siegenthaler hatte – vor Corona-Zeiten – in einer Studie untersucht, ob Kurzarbeit im Zuge der Finanzkrise Entlassungen tatsächlich verhinderte. Oder sie nur aufschob.

Jeder Vierte, der auf Kurzarbeit war, hätte seine Stelle ohne Kurzarbeit verloren.
Autor: Michael Siegenthaler Ökonom ETH Zürich

Sein Fazit: Kurzarbeit wirkt. «Etwa jeder Vierte, der auf Kurzarbeit war, hätte seine Stelle verloren, wenn es Kurzarbeit nicht gegeben hätte», sagt er im Interview mit «ECO». In absoluten Zahlen heisst das: 25'000 mehr Arbeitslose.

Dieses Fazit überträgt der Ökonom auf die heutige Situation, in der aktuell ein Drittel aller Arbeitnehmenden für Kurzarbeit angemeldet ist. «Ohne Kurzarbeit wären wir jetzt schon bei einer Arbeitslosenquote von rund zehn Prozent», sagt Siegenthaler.

So funktioniert Kurzarbeit

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Brechen einer Firma Aufträge weg und fehlt vorübergehend Arbeit, kann sie Antrag auf Kurzarbeit stellen. Mitarbeitende, die keine Arbeit haben, erhalten so weiterhin 80 Prozent des Lohnes. Mit Kurzarbeit sollen Entlassungen verhindert werden. Und Arbeitgeber können, sobald die Auftragslage wieder besser ist, die Produktion hochfahren, ohne neue Leute einstellen zu müssen.

Kurzarbeitsentschädigung wird innerhalb von 2 Jahren während höchstens 12 Monaten ausgerichtet. Finanziert wird sie von der Arbeitslosenversicherung ALV, die durch Beiträge von Arbeitgebern, Arbeitnehmern, Bund und Kantonen gespiesen wird.

Der Preis dafür scheint, gemessen an den Alternativen, vertretbar. Denn mit der Kurzarbeit seien auch Ausgaben für Arbeitslosengelder eingespart worden, heisst es in Siegenthalers Studie.

Und: «Die resultierenden Einsparungen für die Arbeitslosenversicherung könnten ausgereicht haben, um die gesamten Ausgaben für Kurzarbeitsentschädigungen auszugleichen».

Viel weniger Arbeit, ein bisschen weniger Lohn

Die Corona-Krise ohne Kurzarbeit: aus heutiger Sicht ein düsteres Szenario. Das wird im Gespräch mit Urs Coray deutlich. Er führt im thurgauischen Sommeri die Firma L+S, einen Hersteller von höhenverstellbaren Schulmöbeln und Maschinenbau-Teilen.

Sein Auftragsbestand brach nach Ausbruch der Corona-Krise um fast 50 Prozent ein. Coray redet nicht um den heissen Brei: «Wenn wir keine Kurzarbeit hätten eingeben können, wären wir gezwungen gewesen, bis Ende Jahr bis zu 20 Personen abzubauen». Beinahe die Hälfte der Belegschaft.

Coray hat für einen Grossteil seiner Mitarbeiter 40 Prozent Kurzarbeit angemeldet. Sie arbeiten nur noch 60 Prozent, erhalten für die 40 Prozent Kurzarbeit aber einen Grossteil des Lohns, 80 Prozent, von der Arbeitslosenversicherung erstattet.

Den Lohn für die geleisteten 60 Prozent der Arbeit erhalten sie weiterhin von ihrem Arbeitgeber.

Das Beispiel USA: Ein volatiles Land

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Vier Wochen wartet Hannah Wong nun schon auf ihr Arbeitslosengeld. Für die 33-jährige Psychologie-Studentin, die sich ihren Lebensunterhalt bis vor kurzem als Angestellte in einer Bar in Washington verdient hat, eine schwere Zeit. Ersparnisse hat sie wie die meisten Amerikaner kaum.

«Amerikaner gehen gerne an ihre Grenzen»

40 Prozent leben von Lohnscheck zu Lohnscheck und können eine unvorhergesehene Ausgabe von 400 Dollar nicht stemmen. «Amerikaner gehen gerne an ihre Grenzen», erklärt der Schweizer Ökonom Alfred Mettler. «Sie haben so viel Schulden, wie sie verkraften können und geben so viel Geld aus wie sie einnehmen.» Eine gefährliche Haltung in einem Land, in dem der Staat wenig für seine Bürger tut.

Kurzarbeit wie in der Schweiz kennen die USA nicht. Entsprechend drastisch schnellten mit Corona die Anträge auf Arbeitslosengeld in die Höhe: 22 Millionen Gesuche in den vergangenen vier Wochen. Experten schätzen, dass die Arbeitslosenquote nach rekordtiefen 3.5 inzwischen deutlich über 10 Prozent liegt.

Und das in einem Land, wo die Bürokratie schnell überfordert ist. «Ein Drittweltland in Sachen Administration», befindet Alfred Mettler, «Ich bin bald 25 Jahre in den USA und es ist deutlich schlechter geworden.» Das Land sei volatil. «Wenn es schlecht geht, kreiert es fast Panik, aber es ist so gebaut, dass es den Leuten erlaubt, Chancen zu ergreifen, wenn es nach oben geht.»

Der Leidensdruck der Amerikaner ist deutlich höher

Wer am Ende schneller aus der Krise herauskommt, die auf soziale Absicherung gebaute Schweiz oder die volatile USA, ist nicht klar.

Sicher ist: Der Leidensdruck der Amerikaner ist deutlich höher als der der Schweizer. Hannah Wong bekommt ihn in aller Härte zu spüren. Hilfe kommt bestenfalls von Freunden und Familie. Auf den Staat kann sie sich nicht verlassen.

Gastronomie: fast drei Viertel auf Kurzarbeit

Wie Coray haben viele gehandelt. Laut neusten Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) haben landesweit 171'000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet, somit sind knapp 1.8 Millionen Beschäftigte betroffen – mehr als ein Drittel aller Erwerbstätigen in der Schweiz.

Am stärksten betroffen sind – wenig überraschend – Hotelgewerbe und Gastronomie (siehe Tabelle). Hier sind 73 Prozent der Beschäftigten für Kurzarbeit angemeldet. Im Bereich Kunst und Unterhaltung sind es 56, im Baugewerbe 47 Prozent.

So viele sind für Kurzarbeit angemeldet (prozentualer Anteil, nach Branche)

Stand: Mitte April / Quelle: Seco
Beherbergung und Gastronomie73 %
Kunst, Unterhaltung und Erholung56 %
Baugewerbe47 %
Gesundheits- und Sozialwesen22 %
Land- und Forstwirtschaft / Fischerei5 %
Finanz- und Versicherungsdienstleistungen7 %
Öffentliche Verwaltung / Verteidigung1 %
Quelle: Seco

Wie lange kann das gut gehen? Nicht allzu lange. Dazu Ökonom Siegenthaler: «Wenn Firmen merken, dass es eine richtig lange Rezession wird, dann werden sie irgendwann doch zu Entlassungen greifen müssen.»

In diesem Fall hätte Kurzarbeit Entlassungen tatsächlich nur aufgeschoben – es wäre eine teure Strukturerhaltung.

Nur, auch das sagt Ökonom Siegenthaler: Die Kurzarbeit könne eben gerade dazu beitragen, dass die Rezession nicht allzu lange anhält. Weil die Leute nach wie vor Lohn beziehen. Weil sie nach wie vor Geld haben, das sie ausgeben können. Und weil sie genau damit die Wirtschaft stützen.

Zahlen von vergangener Woche stimmen diesbezüglich allerdings wenig optimistisch: Gemäss Seco ist die Konsumentenstimmung im Land auf einem Rekordtief.

Wenn es uns nicht gelingt, neue Produkte auf den Markt zu bringen, haben wir etwas falsch gemacht.
Autor: Urs Coray Inhaber und Geschäftsführer L+S

Unternehmer Urs Coray mag nicht warten, bis sich die Lage bessert. Er könne sich nicht vorstellen, ein Jahr lang an der Kurzarbeit festzuhalten.

«Ein Unternehmen muss sich selbst am Leben erhalten können. Genau dafür ist das Management da: dass wir neue Produkte erfinden, neue Märkte beschreiten.»

Mit seinem Sohn, der ebenfalls im Betrieb arbeitet, hat er ein handliches Gerät entwickelt, das etwa Schlösser und Wasserhähne ohne Hand-Berührung öffnet. Und eine Installation, mit der sich eine Tür mit dem Arm und ganz ohne direkte Berührung öffnen lässt.

Coray nimmt sich selbst in die Pflicht: «Wenn es uns nicht gelingt, in einem halben Jahr neue Produkte auf den Markt zu bringen, haben wir etwas falsch gemacht.»

Kurzarbeit hin oder her.

ECO, 20.4.2020, 22.25 Uhr

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