Zum Inhalt springen
Frau Animation Gesichtszüge digital vermessen
Legende: Maschinen, die Emotionen – und auch den Erfolg im Job – lesen Emotion Research Lab

Künstliche Intelligenz Wenn der Job-Roboter Menschen rekrutiert

Maschinen können Bewerbungen und Lebensläufe schneller lesen als ein Mensch – und sie auswerten. Kritiker sagen, Algorithmen seien nie neutral und verstärkten Vorurteile. Am renommierten M.I.T. bei Boston ist der Glaube an das Gute von künstlicher Intelligenz gross.

«Die Maschine kann sehr gut herausfinden, welche Menschen gut sind für einen Job». Das sagt Loren Larsen, Technischer Chef des US-Start-Ups Hirevue. Dieses bietet Unternehmen eine Video-Interview-Software an – mit einer speziellen Zusatzfunktion: Die automatisierte Gesichtsanalyse.

Ob ein Kandidat die Augenbrauen hebt oder die Mundwinkel verzieht – seiner Maschine entgehe nichts. «Während eines 30-minütigen Interviews können wir 200'000 Datenpunkte sammeln», sagt Hirevue-Geschäftsführer Kevin Parker. Analysiert würden Stimme, Wortwahl, Betonung und Gesichtsausdruck. «Die Daten korrelieren wir mit dem Erfolg im Job», so Parker.

Die Maschine kann sehr gut herausfinden, welche Menschen gut sind für einen Job.
Autor: Loren Larsen Technischer Chef, Hirevue

Das funktioniere, weil der Computer zuvor mit Daten von Menschen gefüttert werde, die bereits erfolgreich in einem bestimmten Job seien. Der ideale Kandidat wird also mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (K.I.) oder Algorithmen bestimmt.

Hirevue ist vielleicht das aufsehenerregendste Beispiel von künstlicher Intelligenz im Bewerbungsprozess. Weltweit gibt es immer mehr Start-Ups und Bewerbungsplattformen, die dank dem Einsatz von Algorithmen mehr Effizienz bei der Jobsuche versprechen.

Der Glaube an die künstliche Intelligenz

Am renommierten Massachusetts Institute of Technology (M.I.T.) bei Boston glaubt man an das Gute von K.I.. Hier wurde die Studienrichtung in den 1950-er-Jahren ins Leben gerufen. «K.I. kann auf viele Arten helfen», sagt Daniela Rus, Forschungschefin des Labors für künstliche Intelligenz und Robotik am M.I.T. zu «10vor10».

Im Bewerbungsprozess helfe sie vor allem «weil sie viel mehr Kandidaten anschauen kann, als Menschen, und weil sie sie auf vielseitigere Weise vergleichen kann», so Rus über künstliche Intelligenz.

Kritik an der Maschinen-Euphorie

Von Algorithmen gehe Gefahr aus, sagt Cathy O'Neil, Mathematikerin und Buchautorin. Sie weiss, wovon sie spricht: Sie hat früher Algorithmen programmiert. Algorithmen sollen objektiv sein?

Ein Marketing-Trick, sagt O'Neil. Sie verstärkten Vorurteile und bewahrten den Status Quo: Dies, wenn Unternehmen zum Beispiel vor allem weisse Männer mittleren Alters einstellten, dafür weniger Frauen und Schwarze, und der Algorithmus entscheidet gleich. «Vieles kann falsch laufen, wenn wir zu viel Vertrauen in Daten setzen», sagt O'Neil.

Vieles kann falsch laufen, wenn wir zu viel Vertrauen in Daten setzen.
Autor: Cathy O'Neil Mathematikerin / Buchautorin

Darauf angesprochen, heisst es beim US-Startup Hirevue: Sehe man Vorurteile in den Daten, lösche man diese sofort.

Maschinen suchen nach Stichworten

Auch in der Schweiz bestimme der Computer mit, wer für einen Job in Frage komme. Das bestätigt Ranjit de Sousa, Chef des Outplacement-Anbieters Lee Hecht Harrison. Das Unternehmen vermittelt Jobs für Entlassene.

Der Arbeitgeber hat so nur Bewerber vor sich, die wirklich qualifiziert sind für den Job.
Autor: Ranjit de Sousa Chef Lee Hecht Harrison

Wer sich online auf eine Stelle bewerbe, dessen Lebenslauf werde von Algorithmen nach jobrelevanten Stichworten durchsucht, die nicht fehlen dürfen: «Es gibt Bewerbungsplattformen, vor allem von Grossunternehmen, die einen Filterungsmechanismus drin haben», sagt de Sousa.

Das bringe Vorteile für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Für Letzteren deshalb, «weil er nur Bewerber vor sich hat, die wirklich qualifiziert sind für den Job».

Angst vor Negativ-Schlagzeilen

Rund 20 Schweizer Grossunternehmen sagen auf Anfrage von 10vor10, sie setzten keine Algorithmen im Bewerbungsprozess ein. Einige probieren automatisierte Methoden zwar aus, wollen aber vor der Kamera nicht darüber reden.

Für Thilo Stadelmann, Professor für künstliche Intelligenz an der ZHAW in Winterthur, ist klar, weshalb diese Zurückhaltung: Künstliche Intelligenz würde in der Öffentlichkeit zu stark als Bedrohung wahrgenommen und löse Angste aus. «Dabei geht es eigentlich nur um das Lösen komplexer Probleme mit Hilfe des Computers, zum Teil mit ganz einfachen Technologien».

Nur für Niedrig-Qualifizierte

«Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass die Maschine einen Teil der Rekrutierung übernehmen können wird», sagt Nicole Burth, Chefin des Stellenvermittlers Adecco Schweiz.

Sie sieht den Einsatz von Job-Robotern vor allem für niedrig qualifizierte Stellen. «Für hoch qualifiziertes Personal, an welches oftmals hohe Anforderungen gestellt wird, auch in Bezug auf emotionale Intelligenz, kann ich mir dies heute nicht vorstellen», sagt Burth.

Künstliche Intelligenz im Bewerbungsprozess mache vor allem in Ländern Sinn, in denen innert kurzer Zeit viel Personal gesucht werde, wie in den USA, beispielsweise für die grossen Logistiklager von Amazon oder Hilfskräfte für Grossanlässe.

Hype oder Wissenschaft?

Das US-Start-Up Hirevue verdient noch kein Geld mit seiner automatischen Gesichtsanalyse, die den «richtigen» Job-Kandidaten bestimmt. Es habe weltweit 700 Kunden – 100 davon nutzten die Analysefunktion. In der Fachwelt wird angezweifelt, ob die Software wissenschaftlich validiert sei. Hirevue profitiere vor allem von einem Hype rund um K.I..

Auch M.I.T.-Forscherin Daniela Rus ist sich nicht sicher, ob künstliche Intelligenz, die Job-Kandidaten per Gesichtsanalyse auswählt, das Gelbe vom Ei ist: «Ich glaube, im Bewerbungs-Prozess ist eine komplizierte Balance zwischen technischen Fähigkeiten und Persönlichkeitsanalyse gefragt».

Künstliche Intelligenz kann nicht alle Probleme lösen, ebenso wenig, wie sie die Welt zerstört.
Autor: Daniela Rus Forschungsleiterin K.I. / Robotik M.I.T.

Und sie sagt: «Künstliche Intelligenz ist ein mächtiges Werkzeug, aber sie kann nicht alle Probleme lösen, ebenso wenig, wie sie die Welt zerstört. Wichtig ist, dass wir uns klar werden, wo es die Technologie braucht und wozu sie fähig ist».

Meistgelesene Artikel