Nicole Probst-Hensch forscht am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in Allschwil im Baselbiet. Sie untersucht zum Beispiel den Einfluss der Luftverschmutzung auf die Gesundheit. Ihre Studie Sapaldia, die seit 30 Jahren läuft, hat die Schweizer Luftreinhaltepolitik geprägt.
Wir wollen doch wissen, ob ein neues und teures Medikament einen langfristigen Nutzen hat oder ob es nur teuer ist über die Zeit.
Laut der Epidemiologin fehlt es in der Schweiz noch an Gesundheitsdaten, etwa zu Volkskrankheiten wie Adipositas oder Diabetes. Die Forscherin betont die Bedeutung repräsentativer Langzeitdaten: «Wir wollen doch wissen, ob ein neues und teures Medikament einen langfristigen Nutzen hat oder ob es einfach nur teuer ist über die Zeit.»
Das Ziel: mehr zugeschnittene Daten
Ebenso wichtig sei die Frage nach dem Zugang: Ist es für alle Regionen, alle Spitäler, alle Menschen oder nur die Reichen? Deshalb will Nicole Probst-Hensch – und mit ihr die Public-Health-Community – hierzulande eine sogenannte Schweizer Kohorte mit Biobank ins Leben rufen. Mindestens 100'000 Erwachsene und Kinder sollen über die Jahre regelmässig untersucht und zu ihrer Gesundheit befragt werden.
Vorbild für das Projekt ist die renommierte UK Biobank in Grossbritannien, die seit 15 Jahren Gesundheitsinformationen von einer halben Million Freiwilliger erhebt: Blut-, Urin- und Speichelproben, das Gewicht, Körpermasse, Lebensumstände und vieles mehr.
Britische Daten sind zugänglich, aber nicht immer übertragbar
Der Nutzen von Biobanken und speziell der UK Biobank könne gar nicht hoch genug bewertet werden, sagt Probst-Hensch. Als Beispiel nennt sie Studien über Blutfette, welche das Herz-Kreislauf-Risiko vorhersagten und zu blutfettsenkenden Medikamenten – Statinen – führten.
Wir haben eine andere Natur, einen anderen Lebensstil, vier verschiedene kulturelle Regionen und ein anderes Klima.
Die Daten der UK Biobank inklusive der umfangreichen genetischen Daten sind für Forschende weltweit zugänglich. Das sei grossartig, aber nicht einfach 1:1 auf die Schweiz übertragbar, betont die Forscherin: «Das Leben hier ist anders als in Grossbritannien. Wir haben eine andere Natur, einen anderen Lebensstil, vier verschiedene kulturelle Regionen und andere Klimaverhältnisse, wenn wir über Klimawandel und -forschung nachdenken.»
Genetische Unterschiede kommen dazu
Auch in der Genetik bestehen Unterschiede, wie der britische Humangenetiker Timothy Frayling bestätigt: Menschen unterschiedlicher genetischer Herkunft hätten andere Gene, andere genetische Variationen. Die übersehe man vielleicht, wenn man nur Proben aus Grossbritannien anschaue.
Eine Schweizer Biobank hält der Brite für eine grosse Chance. Was aber könnte diese konkret leisten? Zum Beispiel die Langzeiteinflüsse von Pestiziden und Chemikalien überwachen, so Probst-Hensch. Oder untersuchen, was Menschen in Zeiten des Klimawandels gesund aufwachsen und altern lässt.
Ebenso könnten soziale Veränderungen, etwa durch Arbeit im Homeoffice, untersucht werden. Oder der Einfluss der Digitalisierung auf Erwachsene und Kinder oder die hohe psychische Belastung von Jugendlichen.
Die Finanzierung ist offen
Die Projektpläne für eine Schweizer Biobank sind weit gediehen. Probst-Hensch ist überzeugt, dass sich die Investitionen in eine Schweizer Biobank kurz- oder mittelfristig massiv lohnen würden. Noch fehlt aber die Finanzierung. 100 Millionen Franken soll die Studie kosten. Eine Pilotstudie in Bern und Lausanne unter der Federführung des BAG ist erfolgreich verlaufen. Der Ball liegt nun beim Bundesrat.