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Medikamenten-Vertriebsmargen Sparpotenzial bei Medikamenten: 400 Millionen Franken pro Jahr

Apotheken, Ärzte und Spitäler kassieren bei Medikamenten-Abgabe viel Geld. Zu viel, kritisiert der Preisüberwacher.

400 Mio. Franken könnten jedes Jahr gespart werden, wenn bei der Abgabe von Medikamenten die Vertriebsmargen gesenkt würden. Diese kassieren Apotheker, Ärzte und Spitäler bei der Abgabe von Medikamenten. «Bereits 2010 habe ich eine formelle Empfehlung gemacht, dass man die Marge und die Packungszuschläge anpassen sollte», sagt Preisüberwacher Stefan Meierhans. Doch passiert sei nichts, obwohl SP-Bundesrat Alain Berset die Situation mit einer Verordnungsanpassung ändern könnte.

Der Ball liegt bei Bundesrat Berset.
Autor: Verena Nold Direktorin Santésuisse

Gleich sieht es die Direktorin des Krankenversicherer-Verbands Santésuisse: «Der Ball liegt bei Bundesrat Berset», sagt Verena Nold. «Er könnte mit einer Verordnungsänderung diese Vertriebsmarge senken, so dass die Prämienzahler in den Genuss von Einsparungen in der Höhe von etwa 400 Millionen Franken kämen.»

Grafik, die zeigt wie sich der Preis des Blutverdünners Aspirin Cardio zusammensetzt.
Legende: Am Blutverdünner Aspirin Cardio lässt sich das heutige System der Vertriebsmargen veranschaulichen. Auf den Fabrikabgabepreis von 6.35 Franken wird der sogenannt «Preisbezogene Zuschlag» von 12 Prozent draufgeschlagen, in diesem Fall 76 Rappen. Plus der «Zuschlag pro Packung», hier 8 Franken. SRF

Auch der zweite Krankenversicherer-Verband Curafutura setzt sich für tiefe Kosten ein. Andreas Schiesser, Leiter Pharma Curafutura, kritisiert, das heutige Margensystem setze falsche Anreize: «Ein Arzt oder ein Apotheker verdient mehr, wenn er ein hochpreisiges Medikament verkauft als eins, das weniger kostet.»

Das schreibt H+ zu den Margen

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«Mit dem Vertriebsanteil von Medikamenten werden im Spital sowohl die logistischen, als auch pharmazeutischen Leistungen finanziert. Diese Leistungen sind u.a. für die Qualitätssicherung bei der Anwendung von Medikamenten zentral und unverzichtbar. Die Gelder aus dem Vertriebsanteil werden wieder investiert in notwendige Leistungen, die kein Tarif finanziert.

Mit der Verordnungsrevision, welche ein Einsparbetrag von rund 55 Mio. Franken vorsieht, werden den Spitälern und Kliniken im spitalambulanten Bereich erneut finanzielle Mittel entzogen, die für die Finanzierung wichtiger Leistungen, wie beispielsweise der Qualitätssicherung, eingesetzt werden. Die Einsparungen gehen ein weiteres Mal zulasten eines Bereichs, der schon seit Jahren chronisch unterfinanziert ist. Diese Unterfinanzierung von 30 Prozent verstärkt sich nun noch mehr, aufgrund der Verordnungsänderung. Zudem kommen die Einsparungen zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Spitäler und Kliniken mit höheren Energie- und Personalkosten aufgrund der Teuerung konfrontiert sehen.»

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) – dem kritisierten Bundesrat Berset unterstellt – schreibt, eine Anpassung der Vertriebsmargen sei wichtig. Deshalb habe man 2018 eine Vernehmlassung durchgeführt, die aber auf Widerstand gestossen sei: «Die gesundheitspolitischen Akteure und das Parlament reagierten auf die Vorschläge sehr unterschiedlich und kritisch.»

Nicht nur das BAG wehrt sich, sondern auch diejenigen, die am meisten beim Verkauf von Medikamenten profitieren. Den grössten Anteil mit über 50 Prozent am Verkauf von Medikamenten verdienen in der Grundversicherung die Apothekerinnen und Apotheker, noch vor den Ärzten und Spitälern. Martine Ruggli, Präsidentin des Apothekerverband Pharmasuisse: «Die Marge ist für die Abgeltung und Entschädigung von Infrastruktur-, Logistik- und Personalkosten da. Personalkosten, die seit 2010 nicht reduziert worden sind.» Auch Infrastrukturkosten seien nicht gesunken und Logistikkosten würden steigen. Demgegenüber seien die Margen nicht angepasst worden. «Vom Aufwand und Ertrag her haben wir keine Zuschläge bekommen in den letzten zehn Jahren.»

Weniger Anreize für teurere Medikamente

Bis Ende September ist eine weitere Verordnungsanpassung in der Vernehmlassung. Hinter den Kulissen haben die Interessengruppen intensiv verhandelt. Nun liegt ein Vorschlag auf dem Tisch.

Wichtigste Neuerung ist, dass die Marge möglichst preisunabhängig sein soll. Das heisst, der Anreiz, ein teures Originalpräparat statt eines günstigeren Generikums oder Biosimilars abzugeben, entfällt für Apothekerinnen, Ärzte und Spitäler. Andreas Schiesser von Curafutura geht kurzfristig von einem Sparpotenzial von 60 Millionen Franken aus: «Mittelfristig bringt es mehrere hundert Millionen Franken.»

Das schreibt die FMH zu den Margen

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«Die FMH setzt sich seit Jahren explizit für margenunabhängige Entschädigungen der Medikamentenabgabe ein. Margenunabhängige Entschädigungssysteme sind die wirksamste Massnahme, um den seit Jahren immer wieder postulierten Vorwurf der Fehlanreize bei der ärztlichen Medikamentenabgabe definitiv zu beseitigen. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung soll die gegenwärtige «Margenrunde» bringen. Diesen wichtigen Fehlanreiz gilt es zu beseitigen, wo auch immer die Medikation abgegeben wird, ob in der Praxis, im Spital oder in der Apotheke.

Im Grundsatz begrüsst die FMH sachgerechte und kostendeckende Vertriebsanteile, welche margenunabhängige Fehlanreize in der Medikamentenabgabe beseitigen. Wenn dieses Ziel der margenunbhängigen Entschädigungen für die Medikamentenabgabe erreicht werden kann, entfällt der Vorwurf von zu hohen Verdiensten bei der Medikamentenabgabe per se.»

Für den Preisüberwacher ist der Vorschlag ein Schritt in die richtige Richtung. Für Stefan Meierhans ist aber klar, dass noch einiges mehr drin liegen würde: «Sowohl die Prozentmarge als auch der fixe Packungszuschlag sollten weiter reduziert werden. Dass die Leistungserbringer davon nicht begeistert wären, versteht sich von selbst. Niemand möchte, dass im eigenen Bereich substanziell Kosten eingespart werden, auch wenn es dringend nötig wäre.»

10vor10, 27. 9. 2022, 21:50 Uhr

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