Zum Inhalt springen

Modebranche wird digital 35'000 Franken für einen Schuh, den es gar nicht gibt

Für digitale Kleider werden Unsummen geboten. Manche spekulieren, andere inszenieren sich. Bekannte Marken mischen mit.

Sergio Muster kennt sich aus mit teuren Sneakers. Innert weniger Sekunden zieht er fünf Paare aus seinem Schuhschrank, die zusammen auf dem Wiederverkaufsmarkt so viel wert sind wie ein neuer Kleinwagen. 

Wie stark und wie schnell der Wert von digitalen Schuhen auf Krypto-Plattformen steigt, ist aber auch für ihn eine neue Erfahrung. Im Frühling hat er sich für umgerechnet 500 Franken einen digitalen Sneaker des Labels RTFKT gekauft.

Zurzeit erhalte ich ein bis drei Angebote pro Monat, zwischen 10'000 und 35'000 Franken.
Autor: Sergio Muster Besitzer eines digitalen Sneakers

Erhalten hat er dafür ein Video, auf dem sich der Schuh dreht, und einen Eigentumsnachweis auf der Blockchain in Form eines Non-Fungible Tokens, kurz NFT. Er könnte seinen Kauf längst mit riesigem Gewinn weiterverkaufen: «Zurzeit erhalte ich ein bis drei Angebote pro Monat, zwischen 10'000 und 35'000 Franken», sagt der Start-up-Unternehmer. Bezahlt wird immer in Kryptowährungen.

Dass der digitale Sneaker in gewissen Online-Kreisen so begehrt ist, hängt auch damit zusammen, dass er limitiert ist. Auf 221 Stück.

Sneaker-Fan Muster stört es nicht, dass er den Schuh nie wird tragen können. «Für mich ist das eine Wertanlage. Ich hätte auch in Aktien investieren können, aber dort habe ich keine Ahnung. Von Sneakers habe ich eine Ahnung», sagt der Berner, der in Zürich lebt und die Sneakerness organisiert, die jährliche Sneakers-Messe.

Digitale Kleider von Gucci, Nike und Burberry

Digitale Kleider geben dieser Tage nicht nur als Spekulationsobjekt zu reden. Influencer inszenieren sich damit auf sozialen Medien. Das hat den gesellschaftlich erwünschten Nebeneffekt, dass digitale Kleider umweltfreundlicher sind als «fast fashion», die in dieser Berufsgruppe beliebt ist, bisweilen kaum getragen und nach ein paar Selfies wieder entsorgt oder zurückgeschickt wird.

Auch grosse Modehäuser machen mit: Gucci hat für das Smartphone-Game Tennis Clash digitale Outfits kreiert, die der Spieler seiner Spielfigur kaufen kann. Nike und Burberry bieten ebenfalls Game-Kleidung an. Hier dient digitale Mode als Marketing-Instrument. Das Ziel: junge Kundinnen und Kunden an sich binden.

Schweizer Designer bringen sich in Position

Digitale Mode ist mehr als eine Spielerei. Davon ist Karin Lorez überzeugt. Die Juristin ist spezialisiert auf Blockchain-Themen, und sie präsidiert die Swiss Fashion Association, die rund 40 Mitglieder hinter sich weiss.

Lorez plant gerade ein Pilotprojekt mit Schweizer Designern, sie sollen mit digitaler Mode mehr Sichtbarkeit erlangen. Nachfrage nach Kleidern, die man nur im Internet-Auftritt tragen kann, werde es genügend geben, sagt Lorez. Berufstätige könnten digitale Kleider in Zoom-Meetings tragen. Vor allem aber sagt Lorez: «Das Leben der jüngeren Generation findet hauptsächlich auf digitalen Plattformen statt.» Und dort brauchten sie laufend neue Kleider.

Ein Chip im Schuh – im echten Schuh

Für Sergio Muster sind digitale Kleider derzeit noch eine Spielerei. Dass man aber, wie beim digitalen Sneaker, auf der Blockchain Eigentums- und andere Daten hinterlegen kann, sei auch für echte Schuhe sinnvoll, etwa um Fälschungen aufzuspüren.

Schon heute sind manche teuren Schuhe mit einem Chip versehen. Dieser lässt sich von einer Smartphone-App scannen, die danach anzeigt, wer der rechtmässige Besitzer des Schuhs ist. Daten, die auf der Blockchain abgelegt – und somit unveränderbar – sind.

Bleibt die Frage, wann er seinen digitalen Schuh weiterverkaufen will, wo er ihn doch selbst bei einem Angebot von umgerechnet 35'000 Franken nicht hergibt. Er habe keinen Stress, sagt Sergio Muster. «Meine Schmerzensgrenze ist bei 50'000, dann gebe ich ihn. Alles andere wäre wirklich blöd.»

10 vor 10, 11.10.2021, 21:50 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel