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Wie Firmen auf «Shitstorms» reagieren
Aus Tagesschau vom 12.06.2020.
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«Mohrenkopf»-Kontroverse Vom Fressen und der Moral

Oft scheuen sich Firmen, sich in gesellschaftliche Debatten einzuschalten. Tun sie es dennoch, setzen sie sich der Kritik aus.

Die Migros hat bereits viel Erfahrung gesammelt mit politischen Delikatessen. Etwa als der Grossverteiler 2012 die Absicht kundtat, bei Früchten und Gemüsen aus dem Nahen Osten je nach genauer Herkunft statt «Made in Israel» als Ursprungsnachweis «Ostjerusalem, israelisches Siedlungsgebiet» oder «Westbank, israelisches Siedlungsgebiet» aufzudrucken. Die Folge war eine polarisierte Debatte rund um die Rechtmässigkeit der israelischen Siedlungspolitik.

Bei der alufolienverpackten Süssspeise aus Eiweiss mit viel Glukose und braunem Überzug ist nun ebenfalls eine Kontroverse in die Gänge gekommen. Sich bei solchen Themen und Diskussionen zu exponieren, betrachten viele Unternehmen als zu grosses Risiko – und scheuen sich deshalb oft, klare Standpunkte zu beziehen. Was dann im Vorwurf der mangelnden Sensibilität, der Anbiederung oder Doppelmoral gipfeln kann.

Konsum nach neuen Regeln

Grosse und politisch exponierte Unternehmen beschäftigen oft ganze Abteilungen in Sachen Reputation Management. Sie haben die Aufgabe, mögliche Reputationsrisiken zu identifizieren und möglichst zu verhindern oder mit positivem Spin zu entkräften. Doch wenn solche Abteilungen nur darauf bedacht sind, sich dem öffentlichen Diskurs möglichst zu entziehen und Ecken und Kanten zu glätten, birgt dies gleichfalls Gefahren und kann die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens ramponieren. Hier die richtige Dosierung zu finden, ist selbstredend also ein schwieriges Unterfangen.

Klar ist aber auch, dass gesellschaftliche und politische Positionen in der heutigen Konsumwelt massiv an Bedeutung gewonnen haben. Das hat auch damit zu tun, dass sich gleichartige Produkte verschiedener Herkunft kaum mehr in ihrer Qualität oder ihrer Funktion unterscheiden. Was dazu führt, dass andere Faktoren mehr zum Tragen kommen. Hinzu kommt, dass die heranwachsende Konsumgeneration andere Massstäbe bei den Kaufentscheidungen anlegt – Fridays for Future lassen grüssen.

Heute kommt die Moral zuerst

Kaum verwunderlich also auch, dass die Zahl der Unternehmen, die sich in die Rassismus-Debatte nach dem Tod von George Floyd durch Polizeigewalt einschalten, historische Ausmasse angenommen hat.

Der gesellschaftliche Diskurs erfüllt in einer Demokratie eine entscheidende Funktion beim Ausgleich der Interessen. Unternehmen sind offenbar vermehrt gewillt, sich daran zu beteiligen. In den vergangenen Jahren war hingegen oft zu hören, die Wirtschaft habe sich zu stark von der Gesellschaft entfremdet und entfernt und eine völlig losgelöste Eigendynamik entwickelt.

Die Kontroverse um die braun überzogene Süssspeise mit Eiweissschaumfüllung und ihren antiquierten Namen erfüllt genau diese Funktion. Und sie zeigt, dass wir in Zeiten leben, in denen nicht mehr gilt, was Bertolt Brecht einst vieldeutig schrieb: Dass zuerst das Fressen komme und dann die Moral. Heute kommt die Moral zuerst und wir können uns das leisten. Zumindest in unseren Breitengraden.

Matthias Pfander

Matthias Pfander

Co-Leiter Wirtschaftsredaktion

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Matthias Pfander ist seit über 20 Jahren im Wirtschaftsjournalismus tätig, seit Mitte 2017 als Reporter und Planer für die Wirtschaftsredaktion von SRF TV. Zuvor arbeitete er unter anderem für den «Tages-Anzeiger» und die «Blick»-Gruppe.

Tagesschau vom 11.06.2020, 19.30 Uhr

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