Jan Schibli war 32 Jahre alt, als er das Unternehmen seines Vaters übernahm. An ihn gingen vor 20 Jahren alle Aktien des Zürcher Elektro-Unternehmens. Seine drei Schwestern wurden mit Partizipationsscheinen und den Immobilien der Firma abgegolten.
Alle waren sich einig, dass Jan Schibli das Unternehmen führen sollte. «Die Harmonie in der Familie zu spüren, ist schon sehr schön gewesen», sagt er.
Sein Vater Hans Jörg Schibli, heute 86-jährig, hat sich nie Gedanken darüber gemacht, dass es zu Streit unter seinen Kindern kommen könnte. «Die grösste Freude war, dass die vier Kinder nie Widerstand gegen etwas geleistet oder komische Fragen gestellt haben. Es ist kein Hauch von Neid oder Missgunst zur Geltung gekommen.»
So viel Frieden und Einigkeit ist innerhalb von Familien nicht immer gegeben. Das beobachtet Balz Hösly, als Anwalt spezialisiert auf Erbrecht.
Ein Fehler sei, dass in einer Familie heikle Punkte nicht diskutiert würden: «Das kennen wir alle aus unserem Leben. Man umschifft die Klippen, an denen man Krach bekommen könnte. Und man wartet zu lange, gewisse Sachen auf den Tisch zu bringen.»
Entscheidung, die man nur einmal im Leben trifft
Am Institut für KMU und Unternehmertum der Universität St. Gallen weiss man ebenfalls um das sensible Thema der Übergaben. «Für viele Unternehmer ist die Vererbungsfrage eine sehr brisante und schwierige Frage», sagt Direktor Thomas Zellweger. «Auf der einen Seite stehen Überlegungen, was für die Firma Sinn ergibt, aber auf der anderen Seite eben auch, was familienintern gerecht ist.» Zudem sei es eine Entscheidung, die in der Regel nur einmal im Leben getroffen werde.
Anwalt Balz Hösly sieht das Loslassen-Können des Firmenchefs oder der Firmenchefin als zusätzliches Problemfeld: «Meistens wartet man zu lange. Und wenn man weiss, dass ein durchschnittlicher Nachfolgeprozess zwischen sechs und 14 Jahre dauert, kann man nicht erst mit 70 anfangen, das Unternehmen zu übergeben. Dann läuft man in einen Engpass hinein.»
Wie viele Unternehmen wegen Erbstreitigkeiten liquidiert oder verkauft werden müssen, lässt sich nicht beziffern. Es kann aber sehr schnell dazu kommen, wie Balz Hösly sagt: «Das heutige Recht ist so, dass das Unternehmen nicht einem Erbe weitergegeben werden darf, wenn die anderen Erben nicht einverstanden sind.»
3400 Firmen pro Jahr haben Finanzierungsprobleme
Hinzu kommen finanzielle Engpässe: Oftmals kann die erbende Person ihre Miterben nicht auszahlen. In St. Gallen geht man davon aus, dass jährlich rund 3400 Firmen und um die 40'000 Arbeitsplätze von Finanzierungsproblemen im Rahmen von Unternehmensübergaben betroffen sind.
Thomas Zellweger sagt: «Wenn es uns gelingt, die Übergaben zu vereinfachen und zu unterstützen, dann ist es wahrscheinlicher, dass auch attraktive Arbeitsplätze gehalten werden können.»
Bundesrat will Gesetzesrevision
Der Bundesrat hat am 10. Juni eine Gesetzesrevision in den parlamentarischen Prozess gegeben. Anpassungen im Erbrecht sollen vermeiden, dass Unternehmen aufgrund von Übergaben scheitern.
Am 14. Oktober hat die Ständeratskommission für Rechtsfragen die Sache erstmals behandelt und Anhörungen dazu durchgeführt. Die Kommission wird ihre Arbeiten an ihrer Novembersitzung mit der Eintretensdebatte fortsetzen.
Ein Unternehmen soll nicht auf dem Altar eines Erbstreits geopfert werden.
Anwalt Balz Hösly war Teil der Expertenkommission. Er betont, wer im Zentrum der Revision steht: «Der Vorschlag des Bundesrats will nicht den Nachfolger schützen, sondern er stellt das Weitergedeihen des Unternehmens in den Mittelpunkt. Das heisst: Schutzobjekt ist das Unternehmen als volkswirtschaftlicher Wert, von dem man nicht will, dass es auf dem Altar eines Erbstreits geopfert wird.»
Jan Schibli denkt bereits darüber nach, wie er sein Unternehmen einst übergeben will. Er ist 51 Jahre alt und hat drei Kinder. «Ich wünschte mir, dass ein Kind die Nachfolge antritt. Das wäre für mich Wunschtraum Nummer 1.» Bisher zeige noch keines Interesse daran, die Verantwortung für mittlerweile 500 Angestellte einst tragen zu wollen.
So oder so wird auch für ihn irgendwann die Zeit des Loslassens kommen: «Ich hoffe sehr, dass mir das so gut gelingt wie meinem Papa. Aber ich sage es offen und ehrlich: Als Unternehmer unterwegs zu sein, selbst entscheiden zu können, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein, seine Mitarbeitenden, seine Mannschaft zu haben – das ist schon ein tolles Gefühl.»
In fünf bis sechs Jahren will Jan Schibli einen Plan haben, wie es mit seiner Firma einmal weitergeht.